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Berichte

"Eine andere Welt ist möglich"

Weltsozialforum in Porto Alegre / Brasilien - Impressionen und Reflexionen

(Christoph Strawe, erschienen in der März-Ausgabe des Ausgabe des Rundbriefs 
„Dreigliederung des sozialen Organismus“

Vom 31. Januar bis zum 5. Februar fand im brasilianischen Porto Alegre das zweite "Weltsozialforum" statt. Über 50.000 Menschen aus 132 Ländern hatten sich zusammengefunden, dreimal soviel wie vor einem Jahr. Unter ihnen waren 11.000 Jugendliche, für die es ein eigenes Jugendlager gab. Von etwa 2.000 vertretenen Organisationen und Initiativen wird gesprochen. Aus der Bundesrepublik hatten diesmal etwa 160 Teilnehmer den Weg über den Äquator auf den amerikanischen Kontinent gefunden, - letztes Jahr war es nur ein knappes Dutzend. Unter ihnen waren Gruppen wie ATTAC, Misereor und diverse Netzwerke, aber auch Vertreter des DGB und der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie Parlamentarier der SPD und der PDS.1 Im Goethe-Institut fanden diverse Veranstaltungen statt, darunter eine Pressekonferenz der deutschen Delegation. - Stark vertreten - auch mit einem eigenen Faltprospekt und zahlreichen Workshops: die "Stuttgart Delegation" - bestehend aus ATTAC (Katrin Zöfel), dem Forum 3 (Ulrich und Gabi Morgenthaler), der Initiative "Netzwerk Dreigliederung" (Christoph Strawe) und ihrem jüngeren Bruder "GlobeNet3" bzw. "GlobalSTAF" (Johannes Lauterbach und Carol Bergin) sowie dem Netzwerk weltweiter Projekte NWWP (Suely Nunes-Loewe, Jens Loewe).

Was hat es mit diesem Forum auf sich? Wie ist es entstanden, welche Ergebnisse hatte das diesjährige Treffen und welche Impulse können von ihm ausgehen? - Davon handelt der folgende Bericht, der zugleich versucht, etwas von der Stimmung des "Events" einzufangen und Impressionen von der Umgebung zu vermitteln, in welcher er stattfand.


Zivilgesellschaft: eine dritte Kraft wird sichtbar

Das alte Jahrhundert endete mit der "Battle of Seattle". Die Welthandelsorganisation WTO führte in der nordamerikanischen Stadt ihren Gipfel durch, bei dem die Staatenvertreter vor allem im Interesse der transnationalen Wirtschaftsunternehmen die weitere Liberalisierung des Welthandels vorantreiben wollten. Dagegen protestierten Menschen aus aller Welt, in einer so noch nie da gewesenen Koalition: Alte Linke, Ökologiegruppen und Organisationen neuen Typs wie ATTAC, Gewerkschaften aus den Metropolen und Kleinbauernvereinigungen aus den gering entwickelten Ländern, Menschenrechtsgruppen, Fair-Trade-Initiativen, religiös-kirchliche Gruppierungen. Ihre Aktionen waren nicht von oben - zentralistisch - gesteuert, sondern von unten - netzwerkartig - koordiniert. Eine ähnliche Koalition, teilweise die gleichen Akteure, hatte zuvor bereits das heimlich in der OECD vorbereitete und 1998 der Öffentlichkeit bekannt gewordene Investitionsschutzabkommen MAI zu Fall gebracht.

Der Zusammenbruch des Staatssozialismus 1989 und die Zurückdrängung der Kräfte eines dritten Weges in der Zeit danach hatten über Jahre hin der Lehre von der alleinseligmachenden neoliberalen Marktökonomie Hochkonjunktur beschert. Nun war eine neue dritte Kraft auf den Plan getreten, die nichts mit dem Establishment der Staaten und der Ökonomie zu tun hatte und für die sich als Identifikationsbegriff das Wort von der "Zivilgesellschaft" durchsetzte. Und siehe da: Der Gipfel von Seattle scheiterte, weil die Bewegung Entwicklungsländern Mut machte, wider den Stachel zu löcken. Die Widersprüche innerhalb der WTO-Mitgliedschaft kamen zum Vorschein.2

Würde diese dritte Kraft kontinuierliche Wirksamkeit entfalten können? Würde sie mehr sein als eine Verhinderungs- und Antikoalition, wie so viele soziale Bewegungen der Vergangenheit, die sich dadurch schließlich totliefen? Kurz: würde sie gegenüber dem Bestehenden die Kraft dessen entfalten können, was die klassische deutsche Philosophie "bestimmte Negation" genannt hat, d.h. eine Verneinung, die zugleich Bejahung ist, weil sie konstruktiv und nicht bloß abstrakt wirkt?

Bemerkenswert immerhin war die Auflösung alter Lagerbildungen. Die alte Linke war technikgläubig wie ihre Hauptgegner. Nun fand man sich auf dem Boden nachhaltiger Entwicklung, wurde der Sinn für den Organismus Erde ein verbindendes Band für viele Beteiligte. Damit schloss die Bewegung zugleich an die Impulse an, die von dem UNO-Umweltgipfel in Rio im Jahre 1992 ausgegangen waren (Lokale Agenda 21).

Weltwirtschaftsforum und Weltsozialforum

Vor 30 Jahren hatte der mittlerweile 62jährige Genfer Wirtschaftsprofessor Klaus Schwab, gebürtig aus Ravensburg, heute einer der reichsten Männer der Schweiz, das sogenannte World Economic Forum gegründet. Es fand seither jährlich in Davos statt, wo sich eine erlesene Schar von Verantwortungsträgern aus Politik und Big Business versammelte. Eine Mischung aus Denkfabrik, Kontaktbörse und Laufsteg der Eitelkeiten war dieses einflussreiche Forum. Wenige mit Rang und Namen, die niemals in der Bündner Bergwelt dabei waren.

Einer Bewegung, die der neoliberalen Form der Globalisierung kritisch gegenüberstand, konnte Davos nicht gleichgültig sein, sie musste eine Antwort darauf finden. Gegendemonstrationen fanden vermehrt in den letzten Jahren statt. Aber genügt es zu protestieren? Liegt nicht die Stärke von Davos darin, dass dieses Forum Entwicklungen abspürt und vordenkt, dass es Dialoge ermöglicht, die zu - wie immer fragwürdigen - Gestaltungsimpulsen beitragen? Muss, wer anderes will, als dort vorgedacht wird, nicht jene Stärke ebenfalls entwickeln, - nur eben auf andere Weise? - Solche Überlegungen, in vielen Köpfen auftauchend, mögen es gewesen sein, die dazu führten, dass die Idee eines parallel zu Davos stattfindenden Forums realisiert wurde. Bei ihm sollte es um Antworten auf die Frage gehen, "wie in einer zukünftigen Welt die Ökonomie in den Dienst der Menschen gestellt werden sollte und nicht umgekehrt".3 In Brasilien fand sich eine Reihe von Organisationen, die die Sache vorantrieben. Sie verhandelten mit den Autoritäten von Rio Grande do Sul, wo die Bedingungen für die Durchführung günstig schienen. Und sie verbanden sich mit Gruppen in aller Welt - ATTAC Frankreich hatte die Initiative bereits von Anfang an kräftig mit vorangetrieben. So kam im Jahr 2 nach Seattle das I. Weltsozialforum in Porto Alegre zusammen.

2002: Porto Alegre und New York

Zwischen dem 1. und dem 2. Forum lagen die Demonstrationen und die brutalen Einsätze der Staatsgewalt beim G8-Gipfel in Genua und die entsetzlichen Anschläge des 11. September mit all ihren Folgen. Hatte Genua zu einem Aufschwung der Bewegung geführt und Organisationen wie ATTAC einen großen Mitgliederzustrom beschert, so sagten ihr nach dem 11. September manche ein nahes Ende voraus. Das Gegenteil jedoch trat ein: "Porto Alegre II hat deutlich gemacht, dass die Dynamik der globalisierungskritischen Bewegung ungebrochen ist. Sie wächst weiter und gewinnt an Breite und Einfluss", so Peter Wahl, Mitglied des Koordinierungsausschusses von ATTAC Deutschland.

Teils aus Solidarität mit den USA, teils weil die Schweizer Behörden offensichtlich den immensen Sicherheitsaufwand nicht leisten wollten, verlegte man das WEF in diesem Jahr nach New York. Durch die zeitgleich auf einem Kontinent stattfindenden Veranstaltungen entstand ein sprechendes Bild, Realität und Symbol zugleich: dort im kalten Norden die auserwählte Schar der 2.700 Reichen und Mächtigen, von einem Riesenaufgebot von Sicherheitskräften und Sperren geschützt, was zugleich an den Orten des Geschehens das Geschäftsleben New Yorks zurückdrängte. Hier in der 28°-Wärme Brasiliens eine gelöste, bei allem Ernst der inhaltlichen Arbeit geradezu volksfestartige Stimmung, die gleich bei der Eröffnungsveranstaltung aufkam. Und Leben allüberall - auch die örtliche Geschäftswelt und der Kleinhandel profitierten. Die wenigen Polizeikräfte hielten sich dezent im Hintergrund, und die Ordner mussten nicht mehr kontrollieren als die Delegierten- bzw. Teilnehmerausweise.

War das erste Forum von den Medien noch weitgehend heruntergespielt worden, so war das im Jahr 2002 deutlich anders. Dazu trug der Kontrast der Bilder sicher bei: häufig wurde zugleich über New York und Porto Alegre berichtet.

Lasst 1000 Blumen blühen ...
Wie Alternativen für eine andere Welt entstehen können

Die Form der Veranstaltung war bereits in der Vorbereitung des ersten Forums geprägt worden: Morgens wenige teach-in-artige Foren vor einem großen Publikum mit mehreren Podiumsteilnehmern, bei denen es sich meist um Menschen handelte, die prominent sind, weil sie sich in der Bewegung hervorgetan haben. - In diesem Jahr waren es insgesamt 27 solcher "Conferences". Sie behandelten unter anderem Themen wie fairen Handel, internationale Organisationen, Kontrolle der Finanzmärkte, nachhaltige Entwicklung, Wasserversorgung, transnationale Unternehmen und die Rolle der Zivilgesellschaft.

Am Nachmittag dann "Workshops". In diesem Jahr waren es an die 300 jeden Tag, sie konnten von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern selbst gestaltet werden. Insgesamt eine Fülle von Gesprächs- und Begegnungsmöglichkeiten, die einer realen Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Akteure untereinander dienen sollten. Zwar war die Form der Vormittagsveranstaltungen recht konventionell: Statements reihten sich aneinander, anschließend waren noch Fragen möglich. Die Offenheit des Workshop-Programms jedoch war beispielhaft: Man konnte sich - über die Internetseiten des WSF - mit seiner eigenen Workshop-Initiative völlig frei einbringen und diese bekannt machen - und die Organisatoren brachten das Kunststück fertig, für all diese verschiedenen Arbeitsgruppen das räumliche Umfeld zu schaffen. - Gerade wer wie der Autor einen zentralistisch organisierten Event wie die 10. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in der damaligen Hauptstadt der DDR erlebt hat, kann die praktizierte aktive Toleranz der Veranstalter würdigen.

Natürlich wehten in Porto Alegre auch die roten Fahnen der in Lateinamerika traditionell starken marxistisch-leninistischen Gruppen, formierten sich auf dem Veranstaltungsgelände immer wieder Demonstrationszüge, die ohrenbetäubend ihre Losungen skandierten. Sie gehörten zum bunten Bild der Veranstaltung dazu, waren aber auch wiederum zu sehr eine Randerscheinung, als dass sich jemand zum Mitmarschieren in einer "antiimperialistischen Einheitsfront" hätte genötigt sehen müssen. Dass ultralinke Gruppierungen parallel zur Eröffnung eine eigene Demonstration gegen das "reformistische Weltsozialforum" durchführen konnten, ohne dass sich jemand darüber aufregte, passt zum Gesamteindruck.

Die selbstlose Haltung der Organisatoren, ein Forum bieten zu wollen, durch das sich eine Kraft der Alternative aus der Zivilgesellschaft heraus formen kann, nicht aber eine solche Bündelung der Kräfte auf einer vorgegebenen Plattform erzwingen zu wollen, war der entscheidende Ansatz schon des ersten Forums. Es war ein qualitativer Sprung gegenüber den allermeisten Ansätzen in der Vergangenheit, internationale Solidarität zu bewirken. (Vgl. Anhang 1 mit der "Charta der Prinzipien" des WSF)

Peter Wahl bringt diese Qualität auf den Begriff: "Diese Bewegung organisiert sich transnational und unter Bedingungen, die die politische und kulturelle Diversität auf dem Planeten widerspiegeln. Eine gemeinsame theoretische oder weltanschauliche Grundlage gibt es, anders als bei früheren Versuchen, eine 'Internationale' zu bilden, nicht. Erst recht besteht keine Zentrale, die irgendetwas vorgeben könnte. Einzig die Fähigkeit aller Akteure zur Selbstorganisation bestimmt den Grad der Struktur- und Regelbildung. Toleranz und kommunikative Kompetenz über kulturelle Grenzen hinweg sind dabei von entscheidender Bedeutung. Historische Vorbilder für einen solchen demokratischen Konstitutionsprozess einer transnationalen sozialen Bewegung existieren nicht."

Eine Region wagt mehr Demokratie...

Porto Alegre mit seinen ca. 1,4 Mio. Einwohnern ist die Hauptstadt des brasilianischen Teilstaats Rio Grande do Sul (Bevölkerung 10 Mio.). Dieser Teil Brasilien ist als Gastgeberregion für ein derartiges Forum wie geschaffen. Wird hier doch eine weitgehende Form direkter Demokratie praktiziert, bei der die Bürger z.B. über die Ausgabeprioritäten der öffentlichen Hände abstimmen können (Bürgerbudget). Bei der UNO interessiert man sich für dieses Modell, in einer Reihe lateinamerikanischer Städte findet es Nachahmer.

Hinter diesem Ansatz steht die brasilianische Arbeiterpartei (PT), die in Stadtverwaltung und Landesregierung dominiert und ohne deren Unterstützung das Forum in dieser Form sicherlich nicht hätte stattfinden können. Von 2,3 Mio. Reals (1 Real = ca. 0,5 Euro) vom Gouverneur des Teilstaats und weiteren 800.000 Reals vom Präfekten der Stadt ist die Rede4 , - was unmittelbar einleuchtet, wenn man das Preis-Leistungs-Verhältnis des mittäglichen Büffets bestaunt hat. Der PT-Ehrenvorsitzende Lula da Silva erhielt im Forum "partizipatorische Demokratie" am vierten Tag standing ovations für eine flammende Rede, die wohl zugleich Wahlkampf für seine Präsidentschaftskandidatur war.

Einen weiteren Faktor des Gelingens stellt sicher die Tatsache dar, dass der riesige Campus der katholischen Universität und deren in der Stadt verstreute Hörsaalgebäude für die Veranstaltung voll zur Verfügung standen. Im Foyer des Hauptgebäudes strömten morgens Tausende zu den großen Foren, die nachmittäglichen Workshops verteilten sich dann auf die Vielzahl der Gebäude. Das Transportproblem lösten Shuttle-Busse und die hellrote Taxiflotte der Stadt, deren Fahrer ein gutes Geschäft machten.

Eine Parkhausetage der Universität war zu einem einzigen Markt umfunktioniert, in dem sich ein Bücher- und Informationsstand an den nächsten drängte. Auch im Freien, überall auf dem Gelände, Stände verschiedener Organisationen und der zahlreichen Kleinhändler, die vom Schmuck über Plaketten bis zum T-Shirt alles feil hielten, was das Herz der Teilnehmer begehrt. - Bei einem Schmuckhändler muss ich ein drittes Paar Ohrringe für meine Frau als Dreingabe nehmen, weil ich aus dem Land von Karl Marx komme. - Allerdings hatte ich auch bereits den Spottpreis von 3 Real pro Paar nach oben korrigiert.

Auch wenn man die Unterstützung und die gute Infrastruktur einbezieht: die reibungslose Organisation einer solchen Veranstaltung ist eine logistische Meisterleistung der unmittelbar für die Durchführung Verantwortlichen.

Brasilianische Impressionen

Von Porto Alegre ist es nicht weit zur Grenze, hinter der ein im Augenblick durch die Folgen der neoliberalen Globalisierung besonders betroffenes Land, Argentinien, von sozialen Unruhen geschüttelt wird. Die Lage in Brasilien ist anders. Seit man 1994 eine an den Dollar angekoppelte Währung, den Real, eingeführt hat, hat man die Inflation im Griff und hofft, mit dieser Lösung besser zurechtzukommen als der Nachbar im Süden. Die sozialen Probleme indes sind mit Händen greifbar, wenn man die Innenstadt von PA erkundet. Mit ihrem vibrierenden Leben macht sie einen aufstrebenden Eindruck, überall Geschäftigkeit. Zugleich ist das Elend unübersehbar, trotz vieler Bemühungen der Verwaltung: Straßenkinder, die betteln; eine Frau, die mit ihrem Säugling auf dem Arm vor einem Geschäft sitzt und offensichtlich keine Bleibe hat; Männer, die am Straßenrand schlafen, und die anderen, die geschäftig vorbeieilen.

Etwas besser daran sind diejenigen, die wenigstens irgend etwas zu verkaufen haben. Der Straßenhandel ist allgegenwärtig, und daran, wie die Ware präsentiert wird, ist die soziale Hierarchie zu studieren: Auf dem Gehsteig, im Bauchladen, auf einem Tischchen, in einem eigenen Stand... In einem Geschäft sehe ich eine Auslage mit Hemden, die man in 5 Monatsraten zu 5,99 Reals abstottern kann: Konsumentenkredit für die Armen. Auffällig viel private Sicherheitsleute, z.B. vor den großen Geschäften. Ein Fremder tritt auf mich zu und warnt mich: "Take care of your camera" (einem Mitglied der Stuttgart Delegation sind tatsächlich am ersten Tag Pass und Kreditkarte entwendet worden).

Dass die Arbeit billig ist, merkt man an Details: ich kaufe eine große Flasche Soda im Supermarkt - und gleich ist ein dienstbarer Geist zur Stelle, um sie mir in die Tüte zu packen. Deutliche Unterschied im Preisniveau zwischen den großen Marken und der heimischen Produktion. Für unsere Verhältnisse ist vieles günstig. Den "Super-Dog" (Super ist gar kein Ausdruck, er kann als komplettes Mittagessen durchgehen!) bekommt man an der Bushaltestelle bei einem Straßenhändler für 1,50 Real.

Die Umweltprobleme des Landes ahnt man, wenn man der Gewässerverschmutzung ansichtig wird: Der Strand hinter dem Amphitheater, in dem die Eröffnungsfeier stattfand: aus der Ferne wunderschön - aus der Nähe betrachtet, verliert man die Lust zum Baden.

Das International Forum on Globalization (IFG)

Eine wichtige Plattform unter den vielen anwesenden Organisationen stellt das "International Forum on Globalization" dar. Sind doch in seinem "Board" viele der herausragenden Gestalten der Bewegung für eine andere Form der Globalisierung anwesend. Eine davon ist Lori Wallach, eine amerikanische Wirtschaftsanwältin, die bereits in der Bewegung gegen das MAI eine Schlüsselrolle spielte und zu deren Markenzeichen es geworden ist, dass sie stets zwei riesige Wälzer mit den WTO-Vereinbarungen mit sich führt, um sie ihrem Publikum zur Abschreckung zu präsentieren.

Wer den im ZDF ausgestrahlten Film "David gegen Goliath" gesehen hat5 , kennt sie, ebenso wie Vandana Shiva, die Inderin. Diese Frau hat ein enormes Charisma. Man versteht, dass sie in Indien Hunderttausende in Bewegung bringt. Seit sie vor der amerikanischen Justiz die mächtige Firma Rice-Tec in die Knie zwang, ist sie geradezu eine Legende geworden. Rice-Tec hatte das Patent für eine neue Reissorte erhalten, die ähnliche Eigenschaften wie der originale indische Basmatireis aufweist. Durch diesen schmutzigen Trick wäre es der Firma fast gelungen, sich die indischen Bauern tributpflichtig zu machen, hätte Shiva nicht dagegen angekämpft. Der kostenlose Nutzung des eigenen Saatguts wäre am Ende ein Verstoß gegen das TRIPS-Abkommen der WTO gewesen.

Ich höre Vandana Shiva bei der Konferenz über Nachhaltigkeit - und muss unwillkürlich an Martin Luther King denken. Sie beginnt mit einem Zitat aus dem "Economist", das den Ernst der Lage beleuchtet. Ein Schreiberling hat dort gefordert, "Greenpeace" und "Friends of the Earth" wegen ihres aktiven Widerstands gegen biotechnische Entwicklungen unter Antiterrorismus-Gesetze zu stellen. Die promovierte Physikerin findet einprägsame Bilder - geeignet, auch einfache Menschen anzusprechen, ohne dabei populistisch zu werden. Ihr Satz, dass G. Bush das Wasser in seinem Swimmingpool wichtiger sei als die Wasserversorgung von Millionen Menschen auf der Welt, wird in den Medien zitiert. Sie bringt die Dinge auf den wesentlichen Punkt, wenn sie sagt, die Menschenrechte seien den Menschen nicht von den Regierungen verliehen, sondern mit ihnen geboren und darum unveräußerlich. - Ihr Auftritt war für mich vielleicht der nachhaltigste Eindruck des Forums (Noam Chomskis Vortrag verpasste ich, weil kein Zugang zum überfüllten Saal mehr möglich war, der Vortrag Leonardo Boffs, des Begründers der Theologie der Befreiung, fiel aus.)

Zum Board des IFG gehört auch Maude Barlow, Vorsitzende des Council of Canadians, die in Kanada eine breite Bewegung gegen das WTO-Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen GATS in Gang gebracht hat. Den Rundbrieflesern ist sie durch den Teilnachdruck ihres Artikels "Die letzte Grenze" und meinen Beitrag über GATS bekannt.6 Dann sind da Persönlichkeiten wie Walden Bello, ein philippinischer Sozialwissenschaftler, Direktor des "Focus on the Global South" oder Martin Khor vom "Third-World-Network" aus Malaysia. Er imponiert mir durch seine strategische Intelligenz, seine Souveränität im Umgang mit dem Stoff, den er behandelt, aber auch durch den Eindruck eines unbeugsamen Willens, der von ihm ausstrahlt. Man muss konzeptionell nicht mit allem konform gehen, was er sagt. Aber im entscheidenden Punkt hat er allemal Recht gegen die Beschwichtiger und Beschöniger aus allen Ländern und Lagern: nämlich, dass der WTO-Prozess gestoppt werden muss, dass die WTO in ihrer jetzigen Form nicht reformierbar ist. Seine Argumente - vorgetragen u.a. bei einem der größeren Workshops über die Gestaltung der Globalisierung - sind glasklar:

Das WTO-Regime greift durch in alle Länder, aufgrund der Möglichkeit, jede regionale demokratische Entscheidung durch die Klage bei der WTO auszuhebeln, - wenn es nur gelingt, einen Verstoß gegen die sakrosankten Regeln des freien Wettbewerbs glaubhaft zu machen. Dieses Regiment verunmöglicht jede soziale Gestaltung in der Region, dem Lebensort der Menschen. Seine Beseitigung, ist es erst einmal durchgesetzt, ist vielhundertmal schwerer als die Änderung einer nationalen Verfassung, - welche, wenn sie grundlegenden Charakter hat, bekanntlich auch nur in historischen Ausnahmesituationen möglich ist. Einsichtig auch Khors Aussagen über die notwendige Begrenzung des freien Kapitalverkehrs durch soziale Gesichtspunkte, eindrucksvoll an der Asienkrise exemplifiziert. Jens Loewe fragt ihn um die Erlaubnis, einiges, was er geschrieben hat, ins Deutsche zu übersetzen, und erhält gleich eine Generalvollmacht. Das ist eine freundschaflichte Geste, zugleich aber auch wohl Ausdruck einer Einschätzung der strategischen Bedeutung, den eine Stärkung der Bewegung in Deutschland haben könnte.

Ein weiteres Mitglied des Boards, das hier erwähnt werden muss, ist David Korten. Korten, der auch in einem unserer Workshops mitwirkte, hat u.a. die Werke "When Corporations Rule The World" (1995, 2. Aufl. 2001) und "The Post-Corporate World: Life After Capitalism" (2000) verfasst und gilt nicht nur als glänzender Analytiker, sondern auch als Vordenker, was künftige gesellschaftliche Gestaltungen angeht. In seinem erstgenannten Werk zitiert er unseren philippinischen Freundes Nicanor Perlas, der wiederum zu den "Associates" des Forums gehört. In Kortens Denken spielen Prinzipien wie ökologische Nachhaltigkeit, ökonomische Gerechtigkeit, kulturelle Vielfalt, Subsidiarität, Partizipation und Verantwortlichkeit eine große Rolle.

Seine Mitautorschaft ist auch in dem Dokument erkennbar, welches das IFG bei einem Workshop erstmals in Kurzfassung als Entwurf der Öffentlichkeit vorstellt und an dem intern lange gearbeitet worden ist: "A Better World is possible - Alternatives To Economic Globalization" (siehe Anhang 2).7

Die Globalisierung gestalten - Alternativen für eine andere Welt

Damit sind wir bei einem entscheidenden Punkt angelangt: Porto Alegre wollte von Beginn an mehr sein, als eine Protestveranstaltung. Es wollte den Beweis antreten für die Aussage des Mottos "Eine andere Welt ist möglich". Wie können deren Konturen aussehen? Wie kann verhindert werden, dass wiederum nur eine Utopie entsteht, die sich bestenfalls, sollte sie sich durchsetzen, als Konglomerat fixer Vorstellungen erweist, die die Menschen als übergestülpt erleben und die sich darum in der Realisierung dann auch bald ins Gegenteil verkehren? Wie soll, auf der anderen Seite, vermieden werden, dass nicht mehr zustande kommt als ein Potpourri unzusammenhängender Wünschbarkeiten aus den verschiedensten Ecken?

Die Organisatoren haben von vornherein gut daran getan, zu verhindern, die Zeit "mit Diskussionen über Einzelheiten zu verlieren, die in einem abschließenden Dokument enthalten sein sollten"8 . Alternativen, die wirkliche Kraft der Veränderung in sich bergen, sind heute allemal solche, die Strukturen beschreiben, unter denen Menschen handlungsfähig zur Lösung ihrer jeweiligen Probleme werden können, nicht "Lösungen" im Sinne einer inhaltlich vorgedachten "richtigen" Gesellschaftsordnung. In diesem Punkt hat ein Grundansatz der Dreigliederung - auch wenn dieses als Konzept bei dem Forum sicherlich nur eine Randrolle in einzelnen Diskussionen spielte - im allgemeinen zivilgesellschaftlichen Bewusstsein begonnen Fuß zu fassen. Aber die Formulierung solcher Alternativen kann auch wiederum nur aus einem permanenten Diskurs hervorgehen. Daher sind Foren wie das IFG als Orte freien geistigen Austauschs so wichtig.

Damit soll über die Aussagen des Dokuments im einzelnen nichts gesagt sein. Vieles findet sich dort, an dem unmittelbar angeschlossen werden kann, manches bedarf aber sicher auch weiterer Diskussion. So möchte man z.B. fragen, ob die Betonung der "lokalen Wirtschaft" - so wichtig diese Entdeckung der Region als realer Ort von Wirtschafts- und Lebenszusammenhängen auch ist - als Alternative zur neoliberalen Globalisierung ausreicht, oder ob nicht gerade auch global solche Formen wirtschaftlicher Zusammenarbeit entstehen können und müssen, welche die gleiche Transparenz und Gestaltbarkeit aufweisen, wie sie im Lokalen zu Recht gesucht werden. Mit dieser Frage wäre eine Debatte über eine moderne kooperative Wirtschaft eröffnet, die sehr weit führen könnte.

Das IFG hat ausdrücklich um Diskussionsbeiträge zu seinem Papier gebeten - und man sollte dieses Angebot dankbar annehmen. So soll das geplante Seminar der Fortbildungsreihe "Individualität und soziale Verantwortung" vom 11.-13. Oktober an der Universität Trier, bei dem es um konzeptuelle Bausteine für eine menschengerechte Globalisierung geht, ausdrücklich unter den leitenden Gesichtspunkt gestellt werden, zu dieser Debatte einen Beitrag zu leisten. - Übrigens: Carol Bergin und Johannes Lauterbach hatten bereits am Rande der WTO-Konferenz in Doha mit Lori Wallach, Vandana Shiva und Maude Barlow engere Kontakte knüpfen können, die in Porto Alegre weiter gepflegt werden konnten und vielleicht zukünftig fruchtbare Zusammenarbeitsmöglichkeiten eröffnen.

Die konzeptionellen Beiträge, die bei dem Forum oder im Zusammenhang mit ihm geleistet wurden, sind insgesamt beachtlich. Aufmerksamkeit verdient dabei auch ein von ATTAC Frankreich Ende Januar vorgelegtes "Manifest 2002".9 Nur wer illusionäre Ansprüche stellte, konnte über einen mangelnden konzeptionellen Ertrag in Porto Alegre klagen. "Erwartungshaltungen, die in der abschließenden Pressekonferenz gerne einen Konstruktionsplan für die neue Gesellschaft sehen wollten", so Peter Wahl, "wurden enttäuscht. Das finale Manifest einer lichten Zukunft, der große Wurf wurde nicht präsentiert. Im Gegenteil, ganz bewusst wurde auf eine offizielle Abschlusserklärung verzichtet, weil die Entwicklung eines 'planetarischen Programms' - wenn es denn auf demokratische Weise zustande kommen soll - gerade nicht von einem Großdenker oder eine Avantgarde mal so auf den Markt geworfen werden kann. Was einer kurzschlüssigen Effizienz- und platten Ergebnisorientiertheit als Schwäche erscheint, ist im Gegenteil bereits der Vorschein einer anderen Welt: partizipative Demokratie, herrschaftsfreier Diskurs, Entschleunigung. Hier wird nichts durchgepowert."

Zusammenarbeit, z.B. in Europa ...

Auch für die Entwicklung der Zusammenarbeitsformen und Organisationsstrukturen innerhalb der Bewegung war das Forum fruchtbar. Die Beratung von ATTAC Europa, an der ich teilnehmen konnte, beispielsweise brachte eine bessere Wahrnehmung der verschiedenen Sektionen untereinander - einige von ihnen sind erst in jüngster Zeit überhaupt entstanden -, aber auch Impulse für Kampagnen und ansatzweise auch ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, die Handlungsebene "Europäische Union" in die Arbeit stärker einzubeziehen. Konkrete Verabredungen gab es für Kampagnen zur Durchsetzung der Tobin Tax (seit eh und je ein Hauptthema von ATTAC) und zum GATS-Abkommen der WTO.

Ich selbst habe noch an einer kleineren Arbeitsrunde teilgenommen, die sich anschließend mit dem EU-Gipfel in Barcelona und entsprechenden Aktionen beschäftigte. Ich habe dort auch über die Initiativen zur Grundrechtscharta und den Aufruf EU 21 berichtet und der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass es der Zivilgesellschaft wenigstens gelingen möge, sich auf einige essentielle Forderungen zur Nachbesserung der Charta und zu den im EU-Reformkonvent zu behandelnden Strukturfragen der Union und ihrer Institutionen zu einigen, um Einfluss auf die europäische Verfassungsentwicklung zu nehmen. Das wurde mit Interesse aufgenommen. Zugleich wurde mir deutlich, dass es noch ein weiter Weg ist, auch nur die verschiedenen zivilgesellschaftlichen Ströme - z.B. die verschiedenen Demokratieinitiativen und die Gruppen der Globalisierungsbewegung - füreinander wahrnehmbar werden zu lassen und schließlich zu einer konkret wirksam werdenden Zusammenarbeit zu bringen. Umso wichtiger, diese Aufgabe anzugehen.

Programmbeiträge unserer Delegation

Die "Stuttgart Delegation" nahm aktiven Anteil am Workshop-Geschehen: den größten Zulauf hatte dabei Carol Bergins Arbeitsgruppe über kulturelle Kreativität. Jens Loewes Workshop handelte über das "Netzwerk Weltweiter Projekte" (NWWP). Suely Nunes-Loewe arbeitete mit einer Gruppe an der Frage individueller Verantwortlichkeit, außerdem gab sie zwei Workshops im "Forum Bambino" - auch für die Kinder war ein Angebot da! Den ganz Kleinen vermittelte sie mit selbstgemalten Bildern Umweltthemen. Johannes Lauterbachs Gegenstand war "authentische trisektorale Partnerschaft", wobei er von David Korten unterstützt wurde. Am Beispiel des Forum 3 behandelten Ulrich und Gabi Morgenthaler das Thema: "Die Zivilgesellschaft braucht offene Zentren", ich selbst sprach - in meinem ersten Seminar, das ich in englischer Sprache zu halten hatte! - über die Zukunftssicherung der Sozialsysteme unter Globalisierungsbedingungen. Ein gemeinsamer Workshop "Shaping Globalization through Cultural Power" krönte das Ganze. - Erwähnt sei auch die Teilnahme von Ralph und Julian, zweier Grazer Waldorfschüler, die mit uns gereist waren.

Die Workshops fanden bei den Teilnehmern ein positives Echo, insbesondere wurde der Arbeitsstil geschätzt, der wohl dialogischer war als in vielen anderen Gruppen. In manchen unserer Workshops fand zwischendurch auch eine Gesprächsarbeit in Kleingruppen statt.

Zu diesem Angebot kam ein brasilianischer Beitrag: Antonio Marques, Leiter einer anthroposophischen Privatklinik und Autor eines Buches über soziale Dreigliederung mit dem Titel "Os tres Poderes" - "Die drei Kräfte" - hielt eine Arbeitsgruppe über kooperative Wirtschaft, in der auch beispielhafte Projekte aus Europa dargestellt wurden. Gregor Kux hatte einen Bücherstand mit portugiesischen Übersetzungen von Rudolf Steiner und anderer Literatur aus dem Bereich der Anthroposophie und Waldorfpädagogik organisiert.

Auch wir hatten - bis zur Grenze des zulässigen Gesamtgewichts unseres Fluggepäcks - Arbeitspapers und anderes Material in englischer Sprache mitgebracht, das wir auslegen bzw. an Interessierte verteilen konnten. So haben recht viele Teilnehmer unsere Arbeit, z.B. auch die Initiative EU 21, ein Stück weit kennen lernen können.

Der Höhepunkt war sicherlich die Direktübertragung von Porto Alegre zu einer Versammlung ins Stuttgarter DGB-Haus, in zwei Partien, deren zweite auch im SDR 3 ausgestrahlt wurde. Wie Stuttgarter Teilnehmer später berichteten, gelang es, etwas von der Atmosphäre des WSF und der dort herrschenden Aufbruchstimmung zu übermitteln. Maude Barlow wandte sich an die Stuttgarter und kündigte an: "I'll come to Stuttgart and we'll change the world".

Leider war ich selbst nicht Zeuge dieser Direktschaltung, da ich zur gleichen Zeit der schon erwähnten Beratung von ATTAC Europa im Hotel Embajador beiwohnte. Dieses Faktum zeigt zugleich das arbeitsteilige Vorgehen unserer Gruppe, das jedoch nicht "organisiert" war, sondern sich spontan durch die Initiative der Einzelnen ergab.

Dialog mit den "Etablierten"?

Kann es, muss es, einen Dialog zwischen Zivilgesellschaft bzw. Weltsozialforum und dem Establishment, repräsentiert z.B. im World Economic Forum, geben? Die Frage liegt auf der Hand, von einigen Teilnehmern, die nach beiden Seiten hin Verbindungen haben, wurde sie bewusst gestellt, so z.B. von einer Freundin aus Argentinien in einem unserer Workshops. Oder von Peter Hesse, der mit seiner Stiftung beispielhafte Entwicklungsprojekte in Haiti betreibt, Unternehmer und langjähriges Mitglied im "Bundesfachausschuss Entwicklungspolitik der CDU", mit dem wir einige fruchtbare Gespräche führen konnten.

Wenn eine Wende in der Entwicklung eingeleitet werden soll, dann setzt das sicherlich eine Zusammenarbeit zwischen Menschen, die Verantwortungsträger in den bestehenden mächtigen Institutionen sind und die Notwendigkeit der Wende begreifen, mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren voraus.

Manche Vertreter des Establishments betrachten zwar die Zivilgesellschaft noch nicht als relevante Kraft, andere mögen den Dialog nur benutzen, um sie ruhig zu stellen. Sich Dialogen zu verweigern, wäre jedoch destruktiv: das soziale Leben baut auf dem Dialog auf. Und wer die eigene Kraft erprobt hat, braucht keine Angst zu haben, dass er vereinnahmt wird. Diese eigene Kraft ist nicht die Kraft der Zahl allein, auch wenn es eine kritische Masse braucht, damit wirksam eingegriffen werden kann. Sie ist die Kraft des Gedankens, der sozialen konzeptionellen Phantasie. Und es ist die Kraft der gelebten Beispiele, die ins Spiel gebracht werden muss, - Beispiele, in denen die andere Welt, die gewollt wird, ein Stückweit bereits antizipiert wird.

Auf dem Weltwirtschaftsforum in New York waren in diesem Jahr immerhin nicht nur Jubelarien über die Segnungen des ungebremsten globalen Kapitalismus zu hören. "Führung in unsicheren Zeiten", lautete das Motto. In den Veranstaltungstiteln wimmelt es von Wörtern wie "Konflikt" oder gar "Furcht". Es wurden auch "Schattenseiten der Globalisierung thematisiert, die Dominanz der USA in der Weltwirtschaft zum Nachteil anderer und die Frage, ob die USA nicht eine Mitverantwortung für das Entstehen terroristischer Netzwerke haben".10 Die Äußerungen des US-amerikanischen Finanz- und Außenministers als Vertreter der Linie des "Weiter so", fanden keinen ungeteilten Beifall. "Selbst IWF-Direktor Horst Köhler kritisierte den Egoismus der Industrieländer, die ihre Landwirtschaft und die Textilwirtschaft vor ausländischer Konkurrenz und damit vor Konkurrenz aus Entwicklungsländern schützen."11

Man wird das zur Kenntnis nehmen müssen, wenn auch nicht überbewerten dürfen. Insbesondere wird man sich dadurch nicht in der Entschlossenheit beirren lassen dürfen, die derzeitig im Rahmen der WTO betriebene Entwicklung anzuhalten, um die Option anderer Entwicklungswege überhaupt wieder zu eröffnen. Zugleich wird man sich in dem Bemühen ermutigt sehen dürfen, solche Wege zu bahnen.

Wie geht es weiter?

Für mich ergeben sich zwei Handlungsrichtungen, die miteinander verbunden sind:

1. Die Welt ist keine Ware! - die WTO-Maschine anhalten!

Wir brauchen eine Bewegung, die die Maschinerie der WTO stoppt. Dabei geht es nicht um diese oder jene Einzelheit, die gefordert werden müsste.12 Es geht darum, dass nicht vollendete Tatsachen geschaffen werden dürfen, die eine Gestaltbarkeit der Verhältnisse nach menschlichem Maß und durch menschlichen Ratschluss und Übereinkommen nicht mehr zulassen. Denn die Realisierung der Werte kultureller Freiheit, demokratischer Gleichheit und wirtschaftlicher Gerechtigkeit und Solidarität wäre dann in ihrem Kern bedroht, ja verunmöglicht.

Viele Entwicklungsländer haben dem Doha-Kompromiss und damit dem Eintritt in eine neue dreijährige große Liberalisierungsrunde des Welthandels nur zugestimmt, weil ihnen zugesichert wurde, dass auf der nächsten Ministerkonferenz 2003 zunächst Einigkeit über den Modus der Verhandlungen gefunden werden muss, ehe diese Runde tatsächlich eröffnet wird.

Und hier ist zu fordern: kein neue Runde, wenn nicht erst den WTO-Abkommen und der WTO als Institution die Giftzähne gezogen worden sind. Und das würde heißen: TRIPS kann in der vorliegenden Form nicht bleiben, wenigstens Bildungs- und Gesundheitswesen sind aus den GATS-Verhandlungen auszuklammern und eine eindeutige Priorität der individuellen, demokratischen und sozialen Menschenrechte vor allen Wettbewerbsrechten ist festzuschreiben.

Faktisch liefe das auf die Forderung nach einem Stop des WTO-Prozesses in seinem gegenwärtigen Duktus und auf ein Moratorium hinaus, das erlaubt, über die Grundlagen der Gestaltung der Globalisierung neu nachzudenken.

Die Koalition, die dies durchsetzen kann, kann nur die breitest mögliche sein: Sie muss Entwicklungsländer ebenso einschließen, wie z.B. die Gewerkschaftsbewegung in den Metropolen und alle Kräfte der Zivilgesellschaft überall in der Welt. Es gibt hier keine Vorbedingungen, außer der einen: der Gewaltfreiheit und der gegenseitigen Toleranz. Und es muss in Kauf genommen werden, dass die Zukunftskonzeptionen vieler beteiligter Kräfte noch gänzlich divergieren können. Ja diese Konstellation muss als Chance betrachtet werden, in der Zusammenarbeit jenes Vertrauen aufzubauen, ohne das eine Verständigung im "Pro", über das "Anti" hinaus, nicht möglich sein wird.

2. Entwicklung der Konturen einer anderen Welt

Die Konturen einer anderen Welt müssen von immer mehr Menschen als Bild in sich belebt werden. Zugleich ist der Dialog zwischen allen, die um solche Bilder ringen, selbst ein Element des Entstehungsprozesses einer neuen Welt. Es ist ein sozialkünstlerischer Vorgang, ohne den die Erneuerung keine wäre. Das Wahre ist das Ganze, Resultat und Weg, der zu ihm führt, hat Hegel gesagt. Ein soziales Ziel, zu dem der Weg nicht ebenfalls ein sozialer ist, also ein zwischenmenschliches und mitmenschliches Zusammenwirken, wäre keines. Zugleich bedarf die Kunst des Handwerks, der Technik, als ihres Instruments. Im Hinblick auf das soziale Leben heißt das unter anderem auch: gründliche sachliche Untersuchung der jeweiligen Materie. Wie müsste ein Geldwesen, eine Eigentumsordnung, der Umgang mit den Ressourcen, mit der Bodennutzung, der Preisgestaltung, der Einkommensbildung, der Ausgestaltung der Demokratie, der Verfassung des Schulwesens, des Universitätslebens usw. aussehen, wenn ein Zustand erreicht werden soll, der menschlicher wäre als der bestehende? Um solche Fragen beantworten zu können, sind nicht nur große Visionen nötig und die Phantasie, sie umzusetzen, sondern auch die notwendige Unterlage an Sachkenntnis.

Schließlich und endlich geht es auch um die Kraft des Beispiels, die Kommunikation und die Reflexion praktischer Erfahrung, die im zivilgesellschaftlichen Engagement an den verschiedensten Stellen bereits gemacht worden sind. Es geht um die Anerkennung der vielen konzeptionellen Beiträge, die bereits geleistet worden sind. Es geht um konzeptionelle Weiterarbeit und Zusammenarbeit im weitesten Sinn.

Vertrauen wir diesem Prozess! - Nicht blind, sondern im Vertrauen auf die Partner, aber auch auf die eigene Kraft, aus bisher Erarbeitetem und neu zu Entwickelndem fruchtbare Beiträge in ihn einbringen zu können.

"Welcome Porto Alegre 2003"

Der "Porto-Alegre-Prozess" kann auch in Zukunft hier beitragen. Dazu am Schluss noch ein Wort: Mancher hat für eine radikale Dezentralisierung des Forums im kommenden Jahr plädiert. Nachvollziehbar: letztlich muss lokal und regional gehandelt werden, wenn eine neue soziale Wirklichkeit entstehen soll. Dennoch hat man sich entschlossen, für ein drittes Forum 2003 wiederum nach Porto Alegre einzuladen.

Das ist wohl begründbar, auch wenn die Teilnahme an globalen Ereignissen dieser Art für die kleinen und finanzschwachen Organisationen ein Problem darstellt (Sponsoren, hört die Signale!). Denn die Begegnung auf globaler Ebene ist ein wesentliches Element der Identitätsfindung der Zivilgesellschaft und gibt Impulse, die auf die Selbstorganisation vor Ort zurückwirken. 2004 will man sich dann in Indien versammeln, einem Land, in dem die zerstörerischen Folgen neoliberaler Globalisierung so greifbar sind, in dem aber eine starke Zivilgesellschaft sich diesen Entwicklungen entgegenstemmt.

Die Bildung lokaler Foren hat begonnen, regionale Foren entstehen ebenfalls. So soll es ein europäisches Sozialforum geben, das voraussichtlich Ende dieses Jahres in Italien und 2003 in Paris stattfindet. Die entscheidende Frage wird sein, ob es gelingt, den pluralen Ansatz des Forums bzw. der Foren durchzuhalten. Das ist weniger eine Frage des Veranstaltungsortes als des Selbstverständnisses der Akteure.

Anmerkungen

1 Unter ihnen war der SPD-Abgeordnete HerrmannScheer. Sie nahmen an einem parallel stattfindenden Forum der Parlamentarier teil.
2 Die beste mir bekannte Schilderung der Ereignisse von Seattle findet sich bei Maria Mies: Globalisierung von unten. Der neue Kampf gegen die wirtschaftliche Ungleichheit. Hamburg 2001.
3 Francisco Whitaker, I. Weltweites Sozial-Forum - Ursprung und Ziele (freie Übersetzung von Doris Henrichsen), siehe www.ATTAC-netzwerk.de/stuttgart/dokumente/debatte-charta-wsf.htm
4 Junge Welt, 1.2.2002
5 "David gegen Goliath - Der Aufstand gegen die Globalisierung", Dokumentation von Martin Kessler (ARTE/ZDF, 16.11., 22 - 22.55 Uhr)
6 Vgl. Rundbrief 2/2001.
7 Das Dokument in ganzer Länge kann heruntergeladen werden auf den Internetseiten des IFG: www.ifg.org
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8 Francisco Whitaker, a.a.O.
9 http://www.ATTAC.org/fra/asso/doc/zenith07.htm
10 Nicola Liebert, " Wirtschaftselite setzt auf Skepsis", in: TAZ vom 4.2.02, S. 5.
11 TAZ, a.a.O.
12 Ich kann vielem zustimmen, was Uwe Henrich in der Märzausgabe des Rundbriefs Dreigleiderung, S. 26ff. schreibt. Aber an dieser Stelle besteht offensichtlich zwischen uns Klärungsbedarf. Ich befürchte eben, dass es nicht mehr möglich sein wird, "Rahmenbedingungen ,angemessen' festzulegen" (Henrich), wenn das WTO-Regime voll greift.

 

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