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Berichte

Von der sozialen Krise zum Widerstand

Der 2. Tag beim WSF in Nairobi

(von Klaus Lederer)

Am zweiten Tag des Weltsozialforums wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer langsam heimisch. Jetzt wurde das Gelände um das große Leichtathletikstadion in Besitz genommen. Kleine Demonstrationszüge mit Transparenten, vorweg Trommelgruppen, bewegten sich hin und wieder um das Stadionrund, die Massen pilgerten an den Ständen entlang. Völlig verschiedene NGOs, Initiativen und Gruppen präsentierten sich, ihre Produkte und Pamphlete. Es entstand nun das völlig typische Sozialforumsflair, eine bunte globale Mischung von Farben, Kulturen und Fashion. Eine Sammlung aus vielen kleinen Partys, die ineinander übergehen, sich wieder atomisieren, um sodann wieder miteinander zu verschwimmen. An das Stadion lehnt sich ein Musikzelt an. Wir bleiben stehen und horchen auf, schauen hinein. Dort kocht die Stimmung. Hunderte tanzen zu traumhafter Musik: Gesang, Keyboard und Percussion bilden eine Klangkulisse, der wir uns nicht entziehen wollen. Aber wir müssen weiter…

Es gibt ein Überangebot an Trinkwasser. Auf der Suche nach dem kleinen Geschäft verproviantieren sich Händlerinnen und Händler mit Flaschen, die sie an Frau und Mann zu bringen versuchen. Auch das gehört dazu. Die Sonne brät, anders als noch gestern, das Forum – manchmal bin ich froh über etwas Schatten. Das ist eher untypisch für Nairobi in diesen Tagen. In 1.800 m Höhe über dem Meeresspiegel gelegen wirkt hier normalerweise eher ein anderer Effekt: erträgliche Temperaturen und die alpine Heimtücke der Sonne. Wer sich nicht einschmiert, ist angeschmiert. Es sind auch verbrannte Nasen zu sehen. Ich war, vorgewarnt, auf der Hut.

Heut fand der „Wasserworkshop“ statt, der eigentliche Grund meiner Anwesenheit. „Die Inwertsetzung von Wasser: Von der sozialen Krise zum Widerstand“, so würde etwas sperrig der Titel lauten, würde er im Programm in meiner Muttersprache aufgeführt. Wird er aber nicht. „Kubinafsishwa kwa maji: Kutoka tatizo la kijamii hadi kuwa mapambano“ klingt wesentlich besser! Etwa 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aller Erdteile waren interessiert, über die globale Situation im Wassersektor und ihre lokale Ausprägung zu diskutieren. Den Auftakt machte eine spontane Chorgesangseinlage der südafrikanischen Gruppe, die am Workshop teilnahm. Sodann erfuhren wir von Patrick aus Südafrika über die Kämpfe gegen den Einbau von Prepaid-Wasserzählern in Johannesburg, die in der Folge der Privatisierung der Netze und Anlagen von der Regierung und dem Sicherheitsapparat gewaltsam durchgesetzt wird. Die Verheißungen der Übergabe von Wasserinfrastrukturen an internationale Gruppen transnationaler Konzerne, von globalen Entwicklungshilfeinstitutionen und Regierungen als Allheilmittel gepredigt, haben den Ärmsten der Armen weder Trinkwasser noch bessere Abwasserentsorgung gebracht.

„Water ist life, sanitation is dignity“ ist die Losung der Bewegung, die sich gegen die Versperrung von Zugängen gebildet hat. Sie bezieht ihre Mobilisierungskraft aus den verheerenden hygienischen und sozialen Wirkungen, die der Wassermangel in den Townships nach sich zieht. Die Frauen und Kinder sind kilometerweit unterwegs, um sich das kostbare Nass zu beschaffen. Bildung und Arbeit sind ihnen oft schon deshalb verschlossen. Die Alten und Kranken, insbesondere die von HIV und AIDS betroffenen Menschen, sind diejenigen, die am schwersten zu leiden haben, denn sie finden keinen Ausweg. Ein Rechtsanwalt berichtet, dass die südafrikanische Verfassung den Menschen das Recht auf den Zugang zu Wasser verbürgt. Nur haben sie davon nichts. Nun hat die Initiative gegen Wasserzähler eine Klage beim Obersten Verfassungsgericht eingelegt. Im Anschluss an die Beiträge wird es eine Diskussion geben, welcher Weg des Widerstands der Richtige sei: klagen oder kämpfen? Die Antwort wird abstrakt nicht zu geben sein.

Anders ist die Situation in Mexiko. Das Wasser wird von den wasserreichen Regionen in die urbanen und Industriegebiete gepumpt. In den armen Vierteln kommt es allerdings auch hier nicht an. Auffällig ist die Aktionsorientierung der Bewegungen des Südens. Auch auf Nachfragen ist wenig über die Widersprüche zu erfahren, die sich in den alltäglichen Auseinandersetzungen auftun. Es ist nicht die Sprachbarriere, sondern die „Eventkultur“. Uli Brand vom BUKO stellt die Frage, ob die Gegenübersetzung von Öffentlich versus Privat nicht zu einfach sei, um die Komplexität der anstehenden Auseinandersetzungen zu erfassen. Der Staat steht nicht jenseits der Reproduktionsverhältnisse, sondern er ist Teil von ihnen, er hilft, sie zu garantieren. Ich kann anhand des Berliner Beispiels, der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe, ähnliches verdeutlichen.

 „WSF is also education.“ Heut war WSF vordergründig Information und Lernen. Lernen aus den Berichten der konkreten Verhältnisse, unter denen die Auseinandersetzungen stattfinden. Kein heißer Streit, sondern konkrete Nachfragen und geduldige Antworten prägen den anschließenden Austausch. Ein für WSF-Verhältnisse völlig normaler Vorgang hat die Teilnehmerzahl des Workshops nach gut der Hälfte der Zeit dezimiert: der Ausfall der Mikrofonanlage. Das hatten wir doch gestern schon. Schade, heut reichte die Stimmgewalt der Rednerinnen und Redner nicht aus. Zumal sich just in diesem Augenblick im Nebenraum die Lautstärke zu verdoppeln schien. Wer nun noch blieb, rückte nach vorn. Dem Informationsgehalt der Debatte tat das allerdings keinen Abbruch. Für mich war dieser Tag die im neuerlichen Forum kristallisierte Momentaufnahme des Diskussionsprozesses, den ich bereits 2005 in Porto Alegre miterleben konnte. Der Blick auf die laufenden Prozesse im Wassersektor war inzwischen deutlich genauer, differenzierter. Die Sozialforumsbewegung erweist sich, was das betrifft, als „lernendes Netzwerk“.


(Klaus Lederer ist Landesvorsitzender der Linkspartei.PDS Berlin)

 

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