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BerichteWidersprüche Der 4. Tag auf dem WSF in Nairobi
(von Klaus Lederer) Der heutige Tag, der Vernetzungstag der
Initiativen, war der letzte offizielle Programmtag im Sportscomplex,
denn morgen folgt nur noch die Abschlussveranstaltung im Zentrum von
Nairobi. Den Vormittag markiert die Erstürmung von Zelten der
Essensversorgung durch die Menschen, die das People´s Parliament
repräsentiert. Sie verweisen darauf, dass die Versorgungskette dem
kenianischen Innen- und Sicherheitsminister John Michuki gehört, der
während der britischen Kolonialzeit bei Folterungen und Verfolgung eine
herausgehobene Rolle gespielt hat. Politische Workshops und Aktivitäten flauen
langsam ab. Im Verlaufe des Nachmittags werden die ersten Stände und
Zelte geräumt, am Abend werden sie ganz verschwunden sein. Der Ring um
das Stadion verwandelt sich unterdessen in einen riesigen Flohmarkt.
Händlerinnen und Händler breiten Kleidung, traditionelle Skulpturen,
Essen und Getränke vor sich aus. Fotografien werden angeboten,
Werbezettel für Safaritouren verteilt. Der von den Aktiven des People´s Parliament
erhoffte Effekt der Preissenkung für Essen und Getränke tritt
allerdings nicht ein. Auch die verstärkte Reflexion der kenianischen
Armut auf dem Forum durch die Slumbewohnerinnen und -bewohner Nairobis
selbst findet nicht statt. Die meisten von ihnen sind aufgrund ihrer
üblen sozialen Lage kaum in der Lage, das Gelände zu erreichen, sondern
müssen sehen, wie sie über den Tag kommen. Diejenigen, die es schaffen,
thematisieren nicht ihre sozialen Verhältnisse, sondern versuchen sie
schlicht für den heutigen und die nächsten Tage auf ihre Weise zu
verbessern was absolut logisch und nachvollziehbar ist. Die Begleiterscheinungen sozialer Widersprüche
werden präsenter. Kleinkriminalität wird spürbarer. Vereinzelt
verschwinden Rucksäcke und Mobiltelefone, der Taschendiebstahl nimmt
zu. Auf der anderen Seite wird hierfür aber auch die größere
Nachlässigkeit von Forumsteilnehmerinnen und -teilnehmern mitursächlich
sein. Den Nachmittag nutze ich für Beobachtungen und
Austausch. Im Queerpoint gibt es heiße Debatten. Ein Bischof unterhält
sich intensiv mit einem schwulen Aktivisten. Eine kenianische Lesbe
versucht einigen WSF-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern zu erklären, dass
Homosexualität nicht pervers ist. Mit halbem Erfolg. Auf der anderen
Seite des Zelts findet globale Queer-Vernetzung statt. Ich höre zu und
nehme auf, wie schwierig es doch ist, wenn die Dinge konkret werden.
„Eine andere Welt ist möglich“ spricht sich leicht aus. Hier kann man
erahnen, wie nötig eine andere Welt ist. Wie jedoch schafft man sie im
widersprüchlichen Gefüge der Hegemonien, Traditionen, Kräftematrizen? Meine Beobachtungen von Widersprüchlichkeit setzen
sich fort im großen Zelt der „Assembly of Social Movements“.
Beeindruckend viele Menschen lauschen den kurzen wechselnden Beiträgen
von verschiedenen Bewegungsaktiven. Welche Konsequenzen ziehen sie aus
dem Forum, wie sollte es weitergehen? Viele Rednerinnen und Redner
erklären ihre Solidarität mit den Repräsentantinnen und Repräsentanten
der Menschen aus den Slums. Einige distanzieren sich vom
Weltsozialforum und prangern es an. Viele der Teilnehmerinnen und
Teilnehmer seien an der Armut nicht interessiert, sie wären nicht
bereit, sich ihr zu stellen. Vereinzelt ist zu hören, das Forum sei
ähnlich neoliberal wie die Praktiken, mit denen es sich
auseinanderzusetzen vorgebe. Alle Macht den sozialen Bewegungen, heißt
es dann, denn nur in ihnen sei das Ziel einer gerechteren Welt sicher
verwahrt. Die Stimmung ist gedrückt. Als eine Rednerin auf die Erfolge des Forums und auf seine Rolle bei der Thematisierung von globalen hegemonialen Strategien des Kapitals und der lokalen Regierungen und ihrer Netzwerke, sowie bei der Schaffung von Gegenöffentlichkeit und Gegenmacht verweist, und mit den Worten schließt „Es lebe das Weltsozialforum!“, ist der Beifall verhalten. Je einfacher die Botschaft, je schlichter die Aussage, desto eher ist sie zustimmungsfähig? Der etwas vereinfacht so formulierte Anspruch, das Weltsozialforum habe nur einen Sinn und eine Legitimation, wenn es eine widerspruchsfreie Insel der Güte und Menschlichkeit in einer ansonsten barbarischen Welt sei, wird sich nicht einlösen lassen. Diese Welt mit all ihren asozialen und ungerechten Zuständen lässt sich nicht außerhalb ihrer gegenwärtigen Verfasstheit verändern. Hierzu muss man sich in Beziehung setzen. Dies muss jede und jeder, der es unternimmt sie zu verändern, in Rechnung stellen. Ja, so bitter es ist: man diskutiert über Armut, während kaum ein paar Kilometer weiter Menschen hungern und um ihre Existenz kämpfen müssen. Und dennoch: Dass die zunehmende Spaltung der
globalen Gesellschaft von Arm und Reich, die Folgen von
Freihandelspostulaten zugunsten der Oberen der Welt, die Verbindung
zwischen forcierter Kapitalverwertung, Verarmung und
Umweltverschmutzung, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, die
Zusammenhänge zwischen Armut und HIV im globalen Diskurs stärker denn
je öffentlich thematisiert werden, ist auch ein großes Verdienst der
Weltsozialforumsbewegung. Dass lokale Akteurinnen und Akteure sich zu
internationalen Zusammenhängen vernetzt haben, ist nicht zuletzt den
periodischen Events des Sozialforums zuzuschreiben. Und es ist richtig,
dass es jetzt und hier, in Kenia, erneut geschieht. Dies bedeutet nun freilich nicht, dass sich die
das Forum tragenden Initiativen und Aktiven stärker darum Gedanken
machen müssen, wie sich die Sozialforen zu den spezifischen lokalen
Verhältnissen in Beziehung setzen können. Wie sie stärker auch
Sprachrohr und Präsentationsraum für die örtlichen Bewegungen sein
können. Wie sich der Anspruch des Forums auch in seiner konkreten Form
umsetzen lässt. Im Gegenteil! Hier wird es dringend nötig sein,
praktische Lösungen zu suchen und zu finden. Klar ist auch, dass zweifellos Privilegierte, wie NGO-Repräsentantinnen und -Repräsentanten oder parlamentarisch Mandatierte ihre Rolle und Funktion reflektieren müssen. Das WSF ist Arbeitszusammenhang und Event zugleich, keine besonders schicke Form des Polittourismus. Ein jährliches Forum ersetzt nicht die tägliche praktische Politik, das permanente engagierte und wirksame Eingreifen in die bestehenden Zustände und Kräfteverhältnisse. Aber hierfür die Voraussetzungen zu verbessern - daran wurde in den vergangenen Tagen in der Tat von Vielen ernsthaft gearbeitet! (Klaus Lederer ist Vorsitzender der Linkspartei.PDS - Landesverband Berlin) |
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Aus www.weltsozialforum.org, gedruckt am: Fr, 29.03.2024
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