zur Startseite
Das deutschsprachige Informationsportal
zur weltweiten Sozialforum-Bewegung
zur Startseite zur Startseite
| Aktuell  | Termine  | Links  | Forum  | Feedback  | Newsletter  | Suche: 
 
Schnell-Info
zurück zur Startseite

Berichte

Die Netzwerke für eine andere Welt werden dichter

Das Weltsozialforum 2007 in Nairobi war ein weiterer Schritt zum Aufbau einer kritischen globalen Zivilgesellschaft. Es wurden Kampagnen für mehr Gerechtigkeit und Demokratie verabredet

(von Ulrich Brand, Frankfurter Rundschau)

Die New York Times schrieb vor einigen Jahren, dass sich neben den USA eine zweite Supermacht herausbilde, nämlich eine globale emanzipatorische Zivilgesellschaft, deren deutlichster Ausdruck das jährliche Weltsozialforum sei. Auch wenn diese Einschätzung übertrieben ist, zeigt sie doch: Die Legitimationskrise des herrschenden Wirtschaftsmodells ist nicht nur auf dessen für viele Menschen desaströse Folgen zurückzuführen, sondern auch auf den Protest von immer mehr Menschen.

Das Weltsozialforum ist ein legitimer Gegenpol zum alljährlich zeitgleich stattfindenden Weltwirtschaftsforum in Davos. Es ist ein großer Erfolg, dass das WSF nunmehr zum siebten Mal stattgefunden hat und zum ersten Mal als Gesamtforum in Afrika. Angesichts der katastrophalen Lebensumstände vieler Menschen war die Stimmung wütender als zuvor. Mehr als 10 000 Teilnehmende folgten dem Aufruf, am letzten Tag 14 Kilometer durch verschiedene Slums zu gehen - für die meisten ein schockierendes Erlebnis.

Im Zentrum vieler Veranstaltungen stand die Europäische Union und ihre neoliberalen und militaristischen Weltordnungspolitiken. Die derzeit verhandelten Economic Partnership Agreements zwischen der EU und vielen afrikanischen Staaten wurden scharf als neokoloniale Politiken kritisiert und es wird große Kampagnen von Attac und anderen dagegen geben. Auch in vielen anderen Bereichen wurden globale Aktionstage und Kampagnen verabredet.

Eine Diskussion bleibt zentral für die altermondialistischen (für eine andere Welt eintretenden, Red.) Bewegungen sowie für die praktische Gestaltung einer anderen Globalisierung. Nämlich über Protest hinaus Alternativen zu organisieren. Insoweit wären die Bewegungen nicht nur für die "Aufräumarbeiten" von neoliberaler und imperialer Zerstörung zuständig.

Eine Frage wurde häufig gestellt: Soll das Weltsozialforum ein offener Raum bleiben, in dem sich unterschiedliche Akteure von Friedrich-Ebert-Stiftung, Kirchen und karitativen NGOs über linke Gewerkschaften bis hin zu radikalen Basisgruppen treffen? Hier werden Wissen und Erfahrungen ausgetauscht, Netzwerke geknüpft, Kampagnen geplant, sich in den je spezifischen Auseinandersetzungen gestärkt. Insbesondere feministische Gruppen haben über das WSF ihre transnationalen Netzwerke gestärkt.

Im Vergleich zu früheren WSF gab es in Nairobi wesentlich mehr Strategietreffen. Da man sich dort häufiger sieht, entstehen jene Vertrauensverhältnisse, ohne die transnationales demokratisches Handeln nicht möglich ist.

Ein weitergehender Vorschlag lautet, einen kollektiven Akteur zu konstituieren, der global agiert. Der senegalesische Wissenschaftler Samir Amin schlägt die Schaffung einer Fünften Internationale vor. Ein "neues historisches Subjekt" sei notwendig. Dies wird scharf kritisiert: Es sei ein Vorschlag von Intellektuellen, die angeblich wissen, wo es langgeht. Die Vorstellung eines einheitlichen Subjekts stehe in der Tradition der autoritären Linken.

Und dennoch trifft die Frage nach einem kollektiven Akteur ein zentrales Problem: Wie können angesichts der Globalisierung, die derzeit die ohnehin Stärkeren noch mehr stärkt, Eingriffe in (welt-)gesellschaftliche Machtverhältnisse gelingen? Gegen Kriege um Öl und "gegen den Terrorismus", gegen die enorme Macht des Kapitals, gegen die wirtschaftlich und ökologisch desaströsen Wirkungen des Weltmarkts, für eine Stärkung von Demokratie und solidarischer Ökonomie?

Meine Einschätzung ist, dass Alternativen zunächst um konkrete Konflikte herum organisiert werden. Beispielsweise haben die inzwischen sehr gut organisierten globalen Bewegungen für Gesundheit, für Menschenrechte, für Landreform und alternative Landwirtschaft oder für menschenwürdiges Wohnen Erfahrungen zusammengetragen und daraus Forderungen entwickelt, die nun in den verschiedenen Kontexten umgesetzt werden sollen. Die Gewerkschaften unternehmen enorme Anstrengungen internationaler Vernetzung. Viele internationale Netzwerke wie jene gegen Wasserprivatisierung oder für das Recht auf Wohnen haben in Nairobi afrikanische Partner gewonnen.

Entscheidend ist aber, ob und wie über diese konkreten Konflikte hinaus es möglich wird, grundlegend in politische und ökonomische Machtverhältnisse einzugreifen. "Eine andere Welt ist möglich!" - dieses Motto der altermondialistischen Bewegung verwirklicht sich durch Bewegungen und Kampagnen, aber eben auch durch sich verändernde Institutionen, vor allem des Staates und von Unternehmen, inklusive der Verfügungsrechte über Eigentum.

Dann stellen sich aber weitere entscheidende Fragen: Wie können emanzipatorische Errungenschaften gesellschaftlich abgesichert werden und wie können Regeln eines (welt-)gesellschaftlichen Zusammenlebens entstehen? Welche Rolle spielen hier der Staat, mit dem die meisten Menschen heute schlechte Erfahrungen machen, und die internationale Politik? Welchen Stellenwert haben progressive Parteien? Auf diese Fragen entsteht heute durch Netzwerke und Kampagnen und in konkreten Konflikten gegen die Macht von Staat und Unternehmen eine erste und sehr dynamische Antwort.

 

« zurück zur Übersicht