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Berichte

Weltsozialforum 2018: Rückblick und Baustellen

(von Sergio Ferrari*, Nachrichtenpool Lateinamerika)

(Quito, 2. Februar 2018, alai).- 17 Jahre nach seiner ersten Ausgabe, kehrt das Weltsozialforum (WSF) zurück in sein Geburtsland: Das nächste Treffen findet vom 13.-17. März in Salvador de Bahía im Nordosten Brasiliens statt.

Im kurzen Leben des WSF sind die Entwicklung und das Wachstum weder linear noch arithmetisch verlaufen. Heute steht das WSF, als wichtigster internationaler Raum des Zusammenkommens und der Reflexion sozialer Akteur*innen, vor der Herausforderung sich neu zu definieren, neu zu erfinden und neue Konzepte zu erarbeiten. Und seine noch fehlende Reife hinsichtlich der Globalisierung von Unten, stellt sich im Rahmen des verworrenen lateinamerikanischen und weltweiten Kontextes als noch komplexer dar.

In der Wiege des ersten WSF in Porto Alegre im Jahr 2001 gab es in Hinblick auf die Teilnahmevoraussetzung noch kein Rezept: Alles war intuitiv, eine breiter Aufruf der Vielfalt und ein international günstiger Moment für weltweite Proteste. Aus diesem ersten Treffen ging eine Charta hervor, die den konzeptuellen und funktionalen Rahmen des WSF festlegt. In den zwei Folgejahren fand das WSF wieder in Porto Alegre statt und die Kraft des Aufrufes übertraf alle Erwartungen. Ein schneller Gang nach Mumbai, Indien, im Jahr 2004, wo sich das Forum der Dalits konstituiert hat und das Treffen mit etwa 100.000 Teilnehmer*innen zu einem der erfolgreichsten wurde. Danach ging es 2005 wieder zurück nach Porto Alegre. Alle der bereits erwähnten Treffen, erlebten ein schnelles Wachstum, das die positivsten Einschätzungen noch übertroffen hat, auch die der Organisator*innen.

Erste Dezentralisierungsversuche und erste Alarmsignale


2006 wurde die Idee der Dezentralisierung umgesetzt und das WSF fand auf drei Kontinenten gleichzeitig statt: In Caracas (Venezuela), Karachi (Pakistan) und Bamako (Mali). Hier zeichneten sich erste Alarmsignale ab: Für die sozialen Bewegungen und ihre internationalen Netzwerke war es nicht mehr möglich jedes Jahr an den internationalen Treffen teilzunehmen. Sie sagten, dass sie ihren eigenen Prioritäten der lokalen und nationalen Organisation und Mobilisierung nachgehen müssten. So lief das WSF Gefahr zu einer Plattform zu werden, wo v.a. finanziell gut aufgestellte NGOs und internationale Netzwerke, die nicht dem alltäglichen Kampf und Druck ausgesetzt sind, die alleinigen Protagonist*innen sind.

Die Notwendigkeit, den internationalistischen Charakter des Treffens zu bekräftigen, führte das WSF im Jahr 2007 nach Nairobi, Kenia. Den Schwerpunkt bildeten afrikanische Themen und die vielfältigen organisatorischen Spannungen, die auf die Gefahr eine progressive Schwächung des WSF hindeuteten. 2008 fand statt eines Großtreffens eine dezentrale Globale Aktionswoche statt.

Ein neuer „Sauerstoffkick“ für das WSF

2009 war das WSF wieder zurück in Brasilien, dieses Mal im Amazonasgebiet in der Stadt Belem do Pará, wo die Entwicklung des Treffens einen neuen „Sauerstoffkick“ erhielt. Als roter Faden zogen sich die Probleme der indigenen Bevölkerung und ihre territorialen Kämpfe um Land durch das Treffen.

Die neue afrikanische Ausgabe des Treffens, fand 2011 in Dakar, Senegal statt. Trotz essenzieller zivilisatorischer Themen, wie Rassismus, Kolonialismus, Slaverei und Migration, waren weniger Teilnehmer*innen anwesend als im Vorjahr.

Der arabische Frühling und damit auch die neuen Erfahrungen der städtischen Mobilisierung, bereicherten die Treffen 2013 und 2015 in der tunesischen Hauptstadt Tunis v.a. mit regionalen Themen. Dafür gab es leider keine Antworten auf Fragen der zukünftigen Organisationsformen, die das WSF sich zum Ziel gesetzt hatte. Der Internationale Rat als führende Instanz der Umsetzung zeigte sich durch die Eigendynamik des Aufrufs überfordert. Einige soziale Bewegungen schlugen Alarm in Form eines Ultimatums hinsichtlich der Funktionsweise des WSF.

Neue Methoden und Konzepte, aber die Grundsatzfragen bleiben ungelöst

Die außergewöhnliche Energie der Jugendlichen in Quebec legitimierte sie das nächste Treffen im August 2016 auszurichten, zum ersten Mal in einem Land des Nordens. Die Organisator*innen sind im heißen Kampf des „studentischen Frühling“ in Quebec im Jahr 2012 gereift, auch im Streik gegen die Kürzungen im Jahr 2015 sowie mit der intensiven und breiten occupy-Bewegung und weiteren Anti(neoliberalen)-Globalisierungs-Dynamiken. Das Treffen in Montreal brachte frischen Wind in Hinsicht auf Konzepte und Methoden, aber gewisse Dilemmata, wie die Teilnahme von Vertreter*innen aus dem globalen Süden durch exklusive Migrationsvorschriften und Ablehnung von Visa, konnten auch hier nicht gelöst werden. Die Krise des Internationalen Rats erreichte während und nach dem Treffen in Montreal einen besorgniserregenden Pegel. In diesem Rahmen stellten sich existenzielle Grundsatzfragen über den Sinn des WSF und seine Fähigkeit sich selbst zu organisieren, so dass ein brasilianisches Kollektiv bereits Anfang 2017 den Vorschlag unterbreitete, dass Treffen im März 2018 in Salvador de Bahía auszurichten.

WSF 2018 in Salvador de Bahía, Brasilien

„Widerstand zu leisten heißt aufbauen, Widerstand zu leisten heißt transformieren“ ist das Motto des diesjährigen Aufrufs, der für das Forum mit seinen Kinderkrankheiten von zentraler Bedeutung ist. Vor allem vor dem Hintergrund der internationalen Krisen, die den Frieden bedrohen und das Überleben der Erde, sowie der brutalen konservativ-neoliberalen Offensiven in sensiblen Regionen des Planeten gegen soziale Bewegungen und gegen alles, was sich nach Basisdemokratie, Partizipation der Bürger*innen und progressiven Regierungen anhört.

* in Zusammenarbeit mit E-CHANGER und der FEDEVACO, Plattform kooperativer Organisationen im Kanton Vaud, Schweiz.


 

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