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Berichte

Frederic Beigbeder: "EinTeufelskreis. Der Werbeexperte Frédéric Beigbeder rechnet mit seiner Branche ab"

in "Zeit" 43/2000

Eine kurze Vorbemerkung zum Autor. Er hat zuletzt "Neununddreissig neunzig" Rowohlt, Reinbeck, 2001 (frz. 2000) veröffentlicht. Das Interview stellt zugleich dieses Buch vor.
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DIE ZEIT: Sie haben einen bitterbösen Insiderroman mit der Absicht geschrieben, gefeuert zu werden. Das ist Ihnen gelungen. Zufrieden?

FRÉDÉRIC BEIGBEDER: Octave, der Protagonist im Buch, wollte gefeuert werden und eine hohe Abfindung bekommen. Mir ist gekündigt worden - ohne einen einzigen Franc Abfindung. Deswegen bin ich natürlich enttäuscht. Aber ich konnte unmöglich weiter in dieser Branche arbeiten nach allem, was ich durchlebt habe. Die Werbewirtschaft liegt heute vollständig in den Händen der Industrie. Werbetexter sind nur noch Handlanger. Deswegen musste ich weg, und deswegen habe ich diesen "Abschiedsbrief" geschrieben.

ZEIT: Besser gesagt: eine wilde Philippika, die überzeichnet und karikiert.

BEIGBEDER: Mit den Mitteln der Werbung zeige ich plakativ, wie sich Werbetexter immer mehr dem Diktat der Industrie unterwerfen müssen. Ihre Ratschläge gelten nichts mehr.

ZEIT: Dafür werden sie doch bezahlt.

BEIGBEDER: Es wäre ja in Ordnung, wenn man uns kreativ arbeiten ließe. Die Unternehmen zwingen die Texter aber dazu, hirnloses Zeug zu verfassen. Sie verachten ihre eigenen Kunden.

ZEIT: Warum haben Sie nicht den Mut aufgebracht, von innen dagegen anzukämpfen?

BEIGBEDER: Weil ich, bildhaft gesprochen, merkte, als ich das Flugzeug bestiegen hatte, dass niemand am Steuer saß. Es ist ein Teufelskreis. Niemand ist verantwortlich zu machen. Zeigen Sie auf die Texter, sagen die: Nein, schuld sind unsere Auftraggeber. Die Auftraggeber sagen: Sorry, wir müssen unsere Aktionäre respektieren. Die Aktionäre wiederum behaupten, dass die Verbraucher die Kurse steigen oder sinken lassen. Und die Verbraucher erklären schließlich: Die Werbung hat uns zum Kauf gereizt.

ZEIT: Aus diesem Teufelskreis brechen doch kleine Agenturen aus, die sich eine Nische suchen.

BEIGBEDER: Wenn sie gut sind, wird ihre Agentur gleich von einer größeren übernommen. Alle wollen doch nur eines: verkaufen. Wenn sie Erfolg mit Originalität haben: okay, dann wird die Werbung vielleicht mal originell. Aber es ist nicht ihre Aufgabe, Menschen zu respektieren. ZEIT: Der Verbraucher kann sich verweigern.

BEIGBEDER: In dieser Illusion lebt er. In Wahrheit hämmert die Werbung doch ununterbrochen auf ihn ein. Sie wird zu einer unbegrenzten Macht. Sie schafft eine Zivilisation künstlich erzeugter Bedürfnisse. Es gibt keine Entrinnen.

ZEIT: Sie übertreiben. Niemand zwingt Sie dazu, etwas zu kaufen.

BEIGBEDER: In Deutschland und den Vereinigten Staaten reflektiert man vielleicht über den Konsum. In Frankreich sind sich die Verbraucher leider nicht ihrer Macht bewusst.

ZEIT: Französische Verbraucher sind weniger aufgeklärt als andere?

BEIGBEDER: Sie haben keine Lobby. In Frankreich hat verführerische Werbung das Publikum völlig abgestumpft. Jetzt geht man sogar einen Schritt weiter: Man zeigt Sadomaso-Werbung, Sodomie, Gruppensex. Bald gibt es vielleicht Spots mit Pädophilen oder Kinderfolterungen.

ZEIT: Dann wären die Verbraucher doch so angewidert, dass das Pendel zurückschlagen würde.

BEIGBEDER: Vielleicht. In den vergangenen 50 Jahren hatte man jedoch das Gefühl, dass Werbung alles darf. Erst seit kurzem müssen sich Unternehmen wegen ihrer Werbung rechtfertigen.

ZEIT: Benetton, Nike, Total mussten ihre Werbung auf Druck der Öffentlichkeit ändern.

BEIGBEDER: Das ist doch ein relativ bescheidenes Ergebnis, wenn man überlegt, welchen Einfluss Unternehmen heute haben. Microsoft ist reicher als Portugal oder Dänemark. Irgendwann werden wir vielleicht nicht mehr Staaten, sondern Marken bewohnen und Microsofties oder Mercedesianer sein.

ZEIT: Sie zeichnen ein groteskes Zerrbild.

BEIGBEDER: Ich übertreibe absichtlich, um klar zu machen, dass die Werbung kein unschuldiges Medium ist. Sie kommt lustig, sexy oder cool daher, hat aber große Macht - wie die Progaganda der Nazis. Dessen muss man sich endlich bewusst werden. Sonst würden die Firmen ja nicht jährlich dafür Milliarden ausgeben. Die Werbung manipuliert unser ganzes Leben. Die Menschen aller Kontinente werden sich immer ähnlicher: Wir ziehen uns gleich an, fahren die gleichen Autos, lieben die gleichen Frauen und haben das Gleiche im Kühlschrank.

ZEIT: Zwischen der Nazipropaganda und der heutigen Werbung gibt es aber doch einen großen Unterschied.

BEIGBEDER: Das Prinzip ist dasselbe: Wie verpacke ich etwas hübsch und nett, ohne meine wahren Absichten offen zu legen? Hitler und Goebbels waren Meister der Kommunikation. Sie trieben Menschen in eine Art kollektive Hysterie.

ZEIT: Sie waren Rassisten und propagierten eine Herrenmenschen-Ideologie. Das kann man von der heutigen Werbung nicht behaupten.

BEIGBEDER: Der Rassismus ist nur diskreter. Wenn Sie in Frankreich den Fernseher einschalten, sehen sie niemals Werbung mit Schwarzen. Afrikaner dürfen nur für Schokolade, Turnschuhe oder Reis auftreten. Ich habe Spots mit Schwarzen und Arabern vorgeschlagen, weil sie zu unserer Lebenswirklichkeit gehören. Das wurde mit dem Argument abgelehnt, dass Schwarze polarisieren und fremdenfeindliche Ängste wecken. Das ist für mich rassistisch.

ZEIT: Sie lassen kein gutes Haar an Ihrer ehemaligen Branche.

BEIGBEDER: So ist leider die Realität. Viele meiner früheren Kollegen rauchen oder trinken. Wer es sich leisten kann, kokst. Der Druck und Stress sind enorm. Man versklavt sich, wird abhängig vom Geld. Manche verdienen 60 000 Mark im Monat und mehr. Die leben in einer Art goldenen Käfig. Viele hassen mich nur, weil sie sich nicht daraus befreien können wie ich.

ZEIT: Mit Ihrem Buch machen Sie aber doch genau das Gleiche. Sie inszenieren ein perfektes Marketing für sich selbst.

BEIGBEDER: Stimmt.

ZEIT: Wo ist die Logik?

BEIGBEDER: Das ist es doch. Ich bekämpfe die Werbung mit ihren eigenen Mitteln. Mein Buch ist eine Ware. Der Preis ist der Titel: 99 Francs. Darüber steht mein Name. Soll heißen: Ich bin käuflich, eine Hure. Ich halte der Branche den Spiegel vor. Der Erfolg des Buches zeigt, wie gefährlich die Waffe Werbung ist. Wichtiger noch als der Roman ist der ganze Rummel, die Fernsehauftritte, dieses Interview, die Lesungen.

ZEIT: Und in diesem Rummel spielen Sie den Rächer des guten Geschmacks?

BEIGBEDER: Auch wenn es sich prätenziös anhört. Mit anderen will ich eine Art Widerstand bilden. Widerstand in einem Krieg, den der Gelehrte Philippe Solers den Krieg des Geschmacks nennt. Ein Krieg zwischen der Industrie, die die Welt in einen Supermarkt verwandeln will, und den Künstlern, die den guten Geschmack verteidigen. Den Kampf gegen die Industrie haben die Politiker längst aufgegeben. Jetzt bleiben nur noch die Künstler, die mit Humor und Selbstkritik dagegen angehen.

(www.zeit.de)


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