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Berichte

Holm Friebe: "Image ist nichts"

Wie Werbung die metaphorischen Räume verstopft und die Kluft zwischen Symbolischem und Realem genauso wächst wie der Protest. Erkundungen der globalen Kampfzone (in: taz vom 10.03.01)

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Keine Frage: Das Unbehagen im Kapitalismus wächst, und die militanten Ausschreitungen sind nur das obere Achtel eines Eisbergs, dessen Sockel sich bis in weite Teile des Bürgertums erstreckt. Dass Rundumschläge wie Viviane Forresters Buch "Terror der Ökonomie" oder Robert Kurz "Schwarzbuch des Kapitalismus" zu Bestsellern werden können, zeigt an, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt und der globale Kapitalismus nach dem Ende des Kommunismus zunehmend in eine Legitimationskrise schlittert.
In den Feuilletons der bürgerlichen Presse wird seit Neuestem ein gediegener Salonantikapitalismus gepflegt, der freilich in seiner Konsequenzlosigkeit etwas Rührendes hat. Selbst im Wirtschaftsteil stößt man auf Unbehagen angesichts des wachsenden Unbehagens. So war kürzlich in der globalisierungsfeindlicher Agitation unverdächtigen Financial Times Deutschland zu lesen: "Die globalen Unternehmen repräsentieren gegenwärtig nicht mehr das, wonach Menschen verlangen, sondern immer stärker das, was wir fürchten - oder gar verabscheuen. Konsumenten wollen nicht werbetechnisch überrannt werden, sondern suchen nach Anhaltspunkten, dass sie den globalen Firmen wieder trauen können."
An diesem Zitat wird auch ein wesentliches Paradigma der neuen Protestbewegung deutlich. Es geht nicht mehr in erster Linie gegen die Politik, auch nicht gegen die Globalisierung als solche. Es geht gegen die globalen Konzerne. Gemeinsamer Nenner der ansonsten disparaten Aktivismen ist die Ablehnung von Konzernmacht: eine Mischung aus Verbraucherschutzbewegung, internationalen Gewerkschaften und naiver Graswurzelromantik - und doch keins von alldem. In den USA, wo traditionell Gewerkschaften eine nachgeordnete Rolle spielen, wird deshalb auch nicht von "Globalisierungsgegnern" gesprochen, sondern von "Anti Corporate Movement". Wie ein Beobachter im kanadischen Magazin Adbuster, das mit seinen moralisch motivierten Werbeparodien ein wichtiges Organ der Antikonzernbewegung ist, schreibt: "Die neuen Aktivisten protestieren nicht mehr gegen die Schäden, die Firmen anrichten, sie protestieren gegen die Firma als solches." Selbst die Demonstranten in Davos forderten nicht etwa die Abschaffung des Geldes, sondern "die Zerschlagung der tausend größten Konzerne weltweit".
Auch die Protestformen haben sich den neuen Gegebenheiten angepasst. Sie setzen auf Medienwirksamkeit, Symbolik und Hypes. Sie statuieren Exempel. Mit einem Wort: Sie sind catchy. Das macht sie der Werbung ähnlich, gegen die sie sich im Kern auch richten, und das macht sie für Unternehmen so unberechenbar gefährlich.
Worum geht es also? Es geht darum, den Mythen, die Werbung, Branding (brand = Marke, Brandzeichen) und Marketing kreieren, den Boden zu entziehen und einen wirksamen Gegenmythos aufzubauen. Das narrative Muster dahinter lautet: David gegen Goliath beziehungsweise Don Quixotes Kampf mit den Windmühlen. Die wirkliche Gefahr für Unternehmen liegt demnach nicht in der realen Bedrohung, sondern in der symbolischen. In gleichem Maße, wie Unternehmen virtueller werden, verlagern sich die Widerstandsformen ins Virtuelle. Wie im Marketing selbst geht es um "Mind share". Es geht nicht nur um Fabriken, es geht auch um Logos. Es geht um die zunehmende Kluft zwischen Symbolischem und Realem.
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Für alle, die sich nicht mehr zurechtfinden, hat jetzt die kanadische Journalistin Naomi Klein eine umfassende Kartografie der Konfliktregion angefertigt - darin eingezeichnet sämtliche Frontverläufe, Minenfelder und künftigen Unruheherde. In akribischer Recherchearbeit und unzähligen Interviews auf beiden Seiten hat die Dreißigjährige die Symptome und losen Enden des wachsenden Protestes gegen Unternehmen und ihre Images zusammengetragen und auch gleich ein passendes Label dafür gefunden. "No Logo" heißt die angenehme Mischung aus Pamphlet, wissenschaftlicher Abhandlung und autobiografisch eingefärbtem Generationenporträt.
Ohne Werbung, nur über Mundpropaganda ist das Buch zu einem "internationalen Geheimtipp" avanciert, wie der Spiegel feststellt. Die Autorin ist auf dem besten Weg, zur Ikone der Bewegung zu werden. Die britische Times ernannte Klein zur "wohl einflussreichsten Person der Welt unter 35". Und der Observer bezeichnete das Buch gar "The Das Kapital of the growing anticorporate movement".
Dabei kommt Klein - bei aller Parteilichkeit und spürbaren Sympathie für den linken Kern dessen, was sie beschreibt - ganz ohne ideologischen Ballast aus. Obwohl Marx These vom "Fetischcharakter der Ware" einen schönen Anknüpfungspunkt für Kleins These von der "Tyrannei des Brandings" böte, kommt der Verweis im Buch nicht einmal vor. "Anecdotal Evidence" heißt dagegen die Devise: Klein spricht als Betroffene, als Angehörige der Generation X, die als erste Generation der vollen Wucht des amerikanischen Teenagermarketings ausgesetzt war.
Wenn man sich den internationalen Kapitalismus für einen Moment vorstellt wie den Todesstern bei Star Wars, dann hat Klein damit eindeutig den Luftschacht identifiziert, der das gesamte System verwundbar macht. Über die Hälfte der Kapitalwerte der Unternehmen weltweit bestehen aus Namen- und Markenrechten. Bei kurzlebigen Konsumgütern sind es meist sogar über sechzig Prozent. Coca-Cola, Paradebeispiel für erfolgreiches globales Branding, hat nach Angaben der Agentur Interbrand, der führenden Instanz in Sachen Markenbewertung, einen Markenwert von mehr als 72 Milliarden Dollar und ist damit noch immer die wertvollste Marke der Welt. Allerdings werden hier auch die Gefahren deutlich: Marken sind genauso teure wie fragile Gebilde. Der Wert der Marke Coca-Cola ist laut Interbrand allein im Jahr 2000 um dreizehn Prozent gefallen.
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Eine der Schlüsselerkenntnisse aus "No Logo" ist, dass wir längst in einer Art Totalitarismus der Markenwelt leben, aus dem es kein Entrinnen gibt und in dem nur gehört wird, wer selbst die Sprache der Werbung spricht. Diese Feststellung ist nicht Anlass zu Kulturpessimismus oder moralischer Entrüstung, vielmehr Auslöser für ein diffuses Unbehagen: Je mehr sich Marken zu Kultur- und Sinnstiftern aufschwingen, desto mehr wird deutlich, dass sie nicht in der Lage sind, die Sinndefizite der säkularisierten Welt aufzufangen. Klein beschreibt das ganz subjektiv als ein Gefühl von Klaustrophobie, das bei vielen Angehörigen ihrer Generation verbreitet sein dürfte: "Was mich umtreibt, ist nicht die Abwesenheit von Raum im wörtlichen Sinn, sondern die Abwesenheit von metaphorischen Räumen: Loslösung, Überschreitung, ein unbestimmtes Gefühl von Freiheit."
Schuld daran ist die flächendeckende Ausbreitung von Werbung und Sponsoring in alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Der ursprünglich unabhängige Charakter von Kultur, Sport und Medien wird so mehr und mehr von den Intentionen der Sponsoren überschattet. Jede soziale Spielfläche wird umgewidmet, jedes Thema mit einem kommerziellen Absender versehen und alle noch freien Claims im öffentlichen Raum besetzt. In den USA hält Werbung vermehrt auch an Schulen und Universitäten Einzug. (Ein krasses Beispiel: Zum 1998 von Coca-Cola ausgerufenen "Coke Day" mussten alle Schüler der Greenbriar High School in Evans, Georgia, in "Coke"-T-Shirts erscheinen und lernten einen Tag lang von Coca-Cola-Mitarbeitern alles, was man über die braune Brause wissen muss. Dafür erhielt die Schule fünfhundert Dollar.)
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Zu den klassischen Bürgerinitiativen, die bestimmte Geschäftspraktiken und Produktionsweisen anprangern, ist weltweit eine lockere Allianz aus Künstlern und Medienguerilleros getreten, die teilweise an die Spontiszene der Siebziger erinnert. "Culture Jamming" bezeichnet die Praxis, auf Plakatwänden die Werbebotschaften zu verfremden oder ihnen eine neue Bedeutung zu geben. In Amerika avancierte Culture Jamming teilweise regelrecht zum Volkssport. Das eingangs erwähnte Magazin Adbuster veröffentlicht monatlich Parodien von Anzeigenmotiven, um damit auf Missstände aufmerksam zu machen, und genießt mittlerweile internationale Beachtung. "Reclaim the Streets" ist eine weitere lose vernetzte internationale Plattform, die sich die symbolische Rückeroberung der einst öffentlichen Räume und Territorien auf die Fahnen geschrieben hat. Zum Repertoire gehören spontane Partys auf Autobahnzufahrten, in Einkaufszentren oder in den Nachtschalterhallen von Banken, bis diese von der Polizei aufgelöst werden. Das 1997 erschienene "Handbuch der Kommunikationsguerilla" gibt Anleitung, wie man alte und neue Medien einsetzt, um effektiv Unfrieden und Verwirrung zu stiften, etwa mittels gefälschter Presseerklärungen.
Natürlich bietet auch das Internet hervorragende Bedingungen für Antiunternehmensaktivitäten weit über die Vernetzung hinaus. Im virtuellen Territorium haben kleine Kollektive oft wirkungsvollere Hebel als im realen. Die als "Toywars" bekannt gewordene jahrelangen Auseinandersetzungen der Künstlergruppe "etoy" mit dem Onlinespielzeuganbieter "eToys" - Letzterer wollte die Verwendung des ähnlich klingenden Domainnamens gerichtlich unterbinden lassen - wurden zum Exempel für hartnäckige Renitenz im Netz und zum blamablen Eigentor für den Spielzeuganbieter. Die konzertierten Hackerattacken auf die Websites von Microsoft oder Yahoo! zeigen, dass selbst die Big Player verwundbar sind. Und was für ein Triumph für die Gegner des Weltwirtschaftsforums, als sie der Presse eine Liste mit hochsensiblen persönlichen Daten und Kreditkartennummern der Mächtigsten der Welt übergeben konnten, die sie von einem WEF-Server gezogen hatten. Im Datenraum, so scheint es, kann Don Quixote durchaus Achtungserfolge erzielen.
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Die Botschaft von "No Logo" lässt sich auf diese simple Frage herunterbrechen: Wie viel Raum wollen wir Marken in unserem Bewusstsein einräumen und was können wir stattdessen sonst noch anstellen? Oder wie Naomi Klein es im Interview formuliert: "Die Ideen, die diese Marken adaptiert haben, sind immer noch machtvoll: Gemeinschaft, Stärkung des Einzelnen, Demokratie etc. Natürlich sind die Marken auf den Plan getreten, uns diese machtvollen Ideen zurückzuverkaufen. Aber es handelt sich um eine Mogelpackung, deshalb bleibt die Sehnsucht, und wir müssen immer weiter shoppen. Dennoch brauchen wir echte Gemeinschaften, echte Demokratie, echte Mitsprachemöglichkeiten des Einzelnen im globalen Zeitalter. Wir werden herausbekommen, woher wir das nehmen, jedenfalls nicht von unseren Turnschuhen."
Vielleicht ist ja tatsächlich schon etwas gewonnen, wenn wir einfach anfangen würden, weniger über Turnschuhe nachzudenken.

(www.taz.de)


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