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Berichte

Rodriguez, Domingo: "Online-Widerstand, Wireless Communities und die Macht von Diskursen"

in: "Telepolis. Magazin für Netzkultur" 16.06.2001

Ricardo Domínguez lebt in New York und ist einer der Begründer des Electronic Disturbance Theatre. Die Gruppe macht seit Ende der 90er Jahre mit elektronischem zivilen Widerstand von sich reden und entwickelte zur Unterstützung der zapatistischen Bewegung in Chiapas das Zapatista FloodNet, eine Software zur Automatisierung elektronischer Sit-Ins, die wiederholt u.a. gegen die mexikanische Regierung eingesetzt wurde. Als Mann vom Theater agiert Domínguez vor allem auf der performativen Ebene von elektronischem Widerstand, in jenem Bereich des information warfare, der auf der Ebene von Diskursen ausgetragen wird. Miriam Lang befragte ihn zum Verhältnis zwischen indianischen Zapatisten in Mexiko und globaler zapatistischer Bewegung sowie zur Reichweite dieser Ebene von Widerstand.
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Ricardo, was verbindet Dich und das Electronic Disturbance Theater aus New York mit den Zapatisten in Chiapas?

Ricardo Domínguez: Für mich haben die Zapatisten wirklich gezeigt, wie Netzwerke funktionieren können. Denn schon in den ersten zehn Tagen nach ihrem Aufstand im Januar 1994 entdeckte ich über meinen Bildschirm Zapatisten auf der ganzen Welt, in Italien, Griechenland, Canada, usw. Bis heute findet man in Zeitschriften von militärischen Geheimdiensten, z.B. von der RAND Corporation, einem großen militärischen Think Tank in den USA, Beiträge über die Zapatisten und ihr Netzwerk, die versuchen herauszufinden, wie sie das hingekriegt haben. Denn im Hinterland von Chiapas gibt es keine Computer und nicht einmal elektrischen Strom. Diese Leute bei den Geheimdiensten hatten eine bestimmte Vorstellung vom Cyberwar, aber dann wurden sie plötzlich mit Gedichten überschwemmt, mit Poesie, und das war für sie nahezu unfaßbar.
Für mich waren es die Zapatisten, die als erste zu einer neuen Ebene des politischen Aktivismus aufriefen. Sie gründete auf einer eigenen Sprache, der Poesie, und sie drehte die Logik des Guerillakampfes um. Der war nicht länger bewaffnet, nicht in erster Linie, sondern es ging um eine unbewaffnete Utopie, Worte als Krieg, im Gegensatz zu Worten für den Krieg.

Ihr habt diesen Aufruf auf die US-amerikanische Metropolenrealität übertragen und in Form von elektronischen Sit-Ins gegen den mexikanischen Präsidenten Zedillo umgesetzt. Welche Auswirkungen hatten diese Sit-Ins auf die mexikanische Politik und was war die Reaktion der mexikanischen Regierung?

Ricardo Domínguez: Beim ersten Sit-In stand am nächsten Tag auf der Titelseite der New York Times, dass virtuelle Sit-Ins aus Solidarität mit den Zapatisten begonnen hätten. Die mexikanische Regierung reagierte in diesem frühen Stadium beispielsweise mit traditionellen Hackern, die versuchten, in unseren Server einzudringen - was aber nicht gelang. Während einer unserer Aktionen zum mexikanischen Muttertag am 10. Mai hatte der Systemadministrator der mexikanischen Regierung ein kleines JavaScript-Programm geschrieben, das unsere FloodNet-Fenster, die automatisch reloaden sollten, dauernd durcheinanderbrachte. Das führte dazu, dass wir uns mehrere Stunden lang ein regelrechtes Browser-Duell lieferten, denn wir mußten sein JavaScript-Programm wiederum lahmlegen.
Im selben Jahr (1998) war information warfare das Thema der Ars Electronica in Linz. Wir beschlossen, das größte virtuelle Sit-In durchzuführen, das wir jemals gemacht hatten, nämlich gleichzeitig auf Präsident Zedillos Website, derjenigen des Pentagon und bei der Frankfurter Börse. Präsident Zedillo war als Ziel eindeutig. Das Pentagon, weil sie in diesem Monat 25 Hubschrauber an die mexikanische Armee verkauft hatten, angeblich für den Anti-Drogen-Krieg, die aber in Chiapas eingesetzt wurden. Und die Frankfurter Börse, weil wir gelesen hatten, dass deutsche Konzerne sich die Rechte auf den Uranabbau in Chiapas sichern wollten. So deckten wir das gesamte Spektrum neoliberaler Herrschaft ab, gegen das die Zapatisten kämpfen.
Morgens um halb acht erhielt ich dann einen anonymen Drohanruf in sehr klarem mexikanischen Spanisch. Ich ging damit an die Öffentlichkeit, und schon war das Drama in vollem Gange. Überall war Polizei, die während der Aktion unsere Computer bewachte und für ein noch größeres Medieninteresse sorgte. Ich komme vom Theater. Für mich ist sehr wichtig, dass durch eine Aktion eine Art Drama in Gang gesetzt wird, und zwar ein soziales, kein technologisches Drama.

Die mexikanische PRI-Regierung konnte sich unter anderem über siebzig Jahre an der Macht halten, weil sie eine große rhetorische Raffinesse entwickelt hat, über die sie fortschrittliche Diskurse immer vereinnahmen konnte. Wie war das in Eurem Fall, was ging von Zedillos Präsidialamt an die Öffentlichkeit? Haben sie Euch ignoriert oder Stellung bezogen?

Ricardo Domínguez: Die Presse in Mexiko schrieb Dinge wie: "Die Zapatisten sind eine Netzwerk-Macht, die Zapatisten haben eine neue Ebene des elektronischen Kriegs eingeleitet, die Zapatisten sind die Gründer des hacktivism". Die Regierung hatte keine Wahl. Sie konnte uns nicht ignorieren, weil Reporter aus aller Welt sie anriefen. Sie sagten, naja, es ist auf unserem Server tatsächlich etwas vorgefallen, aber das System ist nicht zusammengebrochen. Sie wurden durch Telefonanrufe und Fragen belagert und so gezwungen, über Dinge zu reden, von denen sie lieber schweigen wollten. Die Presse war im Ergebnis pro-zapatistisch. So, wie diese performative Matrix funktioniert, kommt es nicht darauf an, was die Mächtigen tun: Sie verlieren immer. Wenn sie angreifen, verlieren sie. Und wenn sie nichts tun, verlieren sie auch.

Denkst Du nicht, dass das nur solange funktioniert, solange ein virtuelles Sit-In als neue Aktionsform einen gewissen Nachrichtenwert hat?

Ricardo Domínguez: Das Wichtige ist der Inhalt des Protests, nicht das Mittel. Jede Technologie ist immer nur so gut wie der politische Inhalt, den sie vermitteln will.

Aber wenn heute 5000 Leute das Internet benutzen, um ihren Widerstand zu artikulieren, dann hat das heute den Ruch, hip zu sein. Darauf stürzt die Presse sich, denn das verkauft sich. Wenn 5000 Leute durch die Straßen demonstrieren, reicht das allemal für eine Meldung in der Randspalte.

Ricardo Domínguez: In hundert Jahren werden die Leute sagen, ohje, schon wieder ein neues virtuelles Sit-In. Wie lange haben wir Flugblätter und Plakate gedruckt? Nur weil eine Taktik immer wieder angewandt worden ist, wird sie nicht weniger nützlich. Es kommt darauf an, die Langzeitstrategie im Auge zu behalten und alle Mittel taktisch bestmöglich einzusetzen.

Was gibt es neben virtuellen Sit-Ins oder Demonstrationen noch für andere Ebenen des elektronischen Widerstands?

Ricardo Domínguez: Es gibt eine ganze Reihe neuer Tools, die hacktivists entwickeln. Im Moment entwickeln wir drahtlose Technologien, wir haben das z.B. bei den Protesten gegen den Amtsantritt von George W. Bush eingesetzt, in Washington D.C.. Zum Beispiel ein drahtloses Listserv, das auf einem Palm7 läuft oder auf Handys. Früher waren wir auf Demonstrationen von Fahrradboten abhängig, die uns sagten, die Polizei sammelt sich da und da. Heute können wir auf unseren Maschinen nicht nur den Stadtplan einsehen, sondern wir können uns sofort über jede Bewegung der Polizei austauschen. So konnten wir die Leute sehr schnell bewegen. Das ist eine sehr gute Anwendung, wie z.B. auch die Aktionen gegen die Welthandelsorganisation WTO gezeigt haben.
Etwas anderes, das wir gerade entwickeln, ist ein drahtloses Streaming Video. Denn wir wollen Gegenüberwachungssysteme entwickeln, gegen die Regierungen, nach dem Motto: "Little Sister is watching Big Brother". Wenn wir auf der Straße demonstrieren, haben wir Mikro-Computer von Tiqit, mit kleinen Tag- oder Nachtlinsen, und wenn die Polizei auf Dich zukommt, filmst Du sie, ihre Dienstnummer, und das wird automatisch an NGO- oder Aktivisten-Sites weitergeleitet. So können wir sagen: Der Beamte XY hat jemanden übelst zuammengeschlagen. Das ist die Telefonnummer seines Vorgesetzen, Ihr solltet dort anrufen. Denn die Gegenseite tut das permanent, sie filmen, fotografieren, und dann veröffentlichen sie das als Fahndungsfotos. Wir machen dasselbe. Sie sollen wissen, dass sie unter Beobachtung stehen, 24 Stunden täglich, egal, was sie machen, wohin sie gehen, wir beobachten das Pentagon, wir beobachten die Polizei, so dass jegliche Art von low intensity warfare künftig weltweite Öffentlichkeit erfährt.
Die nächste Ebene ist der Kontakt mit wireless communities, die über keinen elektrischen Strom verfügen. Mit den Aborigines in Australien entwickeln wir im Grunde ein ähnliches System von drahtlosem Streaming Video, aber ohne Stromzufuhr. D.h. die Geräte sind solarbetrieben und sehr einfach zu benutzen. Zuerst dachte ich, für so etwas kriegen wir niemals die nötigen Gelder, aber wir haben sie bekommen.

Wer die Bedingungen kennengelernt hat, unter denen die Zapatisten in Chiapas leben, hat große Mühe, die indianischen Basisgemeinden, in denen viele AnalphabetInnen leben, wenig spanisch gesprochen wird und die Funktionsweise eines Computers aufgrund des notwendigen Abstraktionsvermögens kaum zu erklären ist, mit einem zapatistischen Netz-Aktivisten wie Dir zusammenzubringen. Stehst Du in Kontakt mit diesen Leuten?

Ricardo Domínguez: Die Zapatisten haben mit uns über grundlegende Poesie kommuniziert. Da ist z.B. die Geschichte von Pedrito, dem intergalaktischen Tojolabal-Kind, das während des zweiten interkontinentalen Treffens geboren wurde. Die Geschichten von Don Antonio und Don Durito. Pedrito beispielsweise sagt: "Was wir Zapatisten haben, ist Maya-Technologie. Die benötigt keinen elektrischen Strom, sie braucht kein Spanisch und keine Politik. Sie basiert auf der Schaffung einer neuen Art von Raum, der nicht definiert
ist, dem Vorzimmer der Revolution."
Ist es denn wirklich notwendig, dorthin zu gehen und mit ihnen zu sprechen? Zumindest die Zapatisten, die ich getroffen habe, wie Cecilia Rodriguez und andere, haben diese Frage mit Nein beantwortet.

Legitim sind Eure Aktionen zweifellos auch ohne diesen Kontakt. Aber trotzdem ist die Frage doch eine Überlegung wert: Wählt Ihr nicht Aktionsformen, die genau solche communities wie die Zapatisten in Chiapas von vorneherein ausschließen?

Ricardo Domínguez: Wir arbeiten mit dem Chiapas Media Project zusammen, einer Medienarbeitsgruppe, die es schon lange vor Indymedia gab. Sie haben mit Zapatisten zusammengearbeitet, die seit 1996 ihre eigenen Dokumentarfilme erstellen. Wir zeigen diese Filme immer in New York. Sie werden von Zapatisten gedreht und geschnitten, das Einzige, was wir bzw. die Chiapas Media Crew beigesteuert hat, war die
Technologie für den Schnitt etc.
Und genau deshalb bemühen wir uns ja um drahtlose Technologien, um beginnen zu können, auch abgenabelte communities zu integrieren. Um das tun zu können, müssen wir erstmal selbst die Technologie entwickeln, und Aktivisten müssen ein Anwendungsprotokoll dafür entwickeln. Momentan arbeiten wir mit italienischen Aktivisten zusammen und mit Leuten von MIT in Cambridge. Wir haben die notwendige Hardware schon zusammengetragen, und auch die Art von Software konzipiert, die entwickelt werden muß. Dann muss das alles über Satellit laufen, weil ja an diesen Orten kein anderer Funkkontakt möglich ist. Ich würde sagen, dass wir bis Ende 2002 zumindest zwei funktionierende Prototypen haben. Ich fahre jetzt zuerst nach Mexiko und dann nach Australien, um mit den Aborigines zusammenzutreffen, die uns ursprünglich kontaktiert haben, und um diese Beziehungen zu vertiefen.

Glaubst Du, dass Technologien kulturelle Gräben überwinden können, die über Jahrhunderte gewachsen sind? Dass eine Tzotzil-Frau aus dem chiapanekischen Hochland Eure Tools erfolgreich anwenden wird? Oder wird sie sie vielleicht für etwas ganz anderes benutzen?

Ricardo Domínguez: Das wäre auch in Ordnung. Die Zapatisten haben immer dazu aufgerufen, auf allen Realitätsebenen gleichzeitig zu operieren, und das versuchen wir. Zumindest werden die Geräte, die wir bauen, sehr hitze-, kälte- und feuchtigkeitsbeständig sein. Und die Benutzung ist denkbar einfach. Man muss sie nur auf denjenigen oder dasjenige richten, was geflimt werden soll, und alles weitere ist automatisch. Sobald das Gerät ein Geräusch hört, schaltet es sich von selbst ein, oder es ist einfach die ganze Zeit über an.

Angenommen, es funktioniert, und jeder Hubschrauber, der eine zapatistische Gemeinde überfliegt, wird künftig gefilmt. Was wäre der Effekt?

Ricardo Domínguez: Wenn das Militär bis heute noch nicht in Chiapas einmarschiert ist, dann liegt das an diesem elektronischen Kräftefeld, das aufgebaut wurde, an der internationalen Öffentlichkeit. Die Militärs wissen, dass Leute sie beobachten, dass es Leute gibt, die auf ihre Taten reagieren werden. Und das wollen wir jetzt ausweiten, so dass sie nicht nur teilweise beobachtet werden, sondern lückenlos. Wir müssen Foucaults Panopticon umkehren und es gegen sie richten. Ein entscheidender Teil dieser Strategie hängt aber nicht von Technologien ab, wie die Zapatisten gezeigt haben, sondern von Sprache.
Ein Beispiel. Direkt nach der Aktion auf der Ars Electronica haben wir angefangen, über diese drahtlosen Technologien nachzudenken. Und die mexikanischen Zeitungen, das Militär, die NSA, das CIA, alle riefen uns an und wollten mit uns sprechen, denn sie wussten nicht mehr, was eigentlich vorging. Aber wir haben nur gesagt: "Ihr steht unter Überwachung." Die communities wissen, was ihr macht und wie ihr es macht. Und dann titelten die Zeitungen in Mexiko: "Zapatisten verfügen über drahtlose Überwachungstechnologie und beobachten damit das Militär."
Anfang Dezember 2000 überrannten dann zapatistische Frauen und Kinder eine Militärkaserne. Das Video darüber, vielleicht kennst Du es, ist beeindruckend. Und vielleicht haben die Militärs ja deshalb so auf diesen Druck reagiert, weil wir zuvor diese Information in Umlauf gebracht hatten, und sie nicht mehr sicher waren, ob sie nicht wirklich überwacht werden. Nicht nur durch Leute vor Ort mit Kameras, sondern vielleicht flächendeckend über Satellit oder andere Mittel - eben durch all die Technologie, die sie üblicherweise selbst gegen Aktivisten einsetzen. Das Entscheidende an diesem Vorgehen sind die psychologischen Schachzüge.

Würdest Du sagen, es gibt bereits ein weltweites informelles Informationsnetzwerk, das völlig unabhängig von den etablierten Medien funktioniert und so deren Bedeutung schmälert?

Ricardo Domínguez: Selbstverständlich, das haben die Zapatisten gezeigt. Das ist nicht unbedingt ein zusammenhängendes Aktivistennetz, es ist großteils informell. Letztendlich weiß man nie genau, auf welchem Weg die Leute von etwas erfahren haben und wie sie dazu gekommen sind. Aber ich bekomme viel Information von Individuen oder Communities in der ganzen Welt, die sagen, wir haben da diese Email
bekommen, wir wollen mitmachen, oder die um mehr Information bitten.
Beispielsweise schrieb mir ein Blinder aus Peru, der unsere Information in Blindenschrift übersetzen will, damit die Blindencommunity in Peru ein virtuelles Sit-In organisieren kann, weil die dortige Regierung gerade den Blinden die Gelder kürzt. Und er will die anderen Blinden über diese Form des Widerstands informieren, weil viele Blinde dort über Email kommunizieren, das ist für sie eine große Hilfe.

Du betonst in allen öffentlichen Statements immer, dass das Zapatista FloodNet und alle von Euch entwickelten Formen elektronischer Störung keinen Schaden anrichten, der anvisierte Server also nicht zerstört, sondern nur vorübergehend verlangsamt wird. Weshalb ist Dir das so wichtig? Könnte es nicht viele Leute motivieren, an solchen Aktionen teilzunehmen, wenn sie als Effekt mit sich brächten, dass der reibungslose Ablauf neoliberaler Geschäfte tatsächlich durcheinanderkommt?

Ricardo Domínguez: Ich habe nichts dagegen, den ökonomischen Gang der Dinge aggressiv zu stören. Trotzdem hat keine unserer Aktionen jemals einen Server zerstört. Üblicherweise ist unsere Vorgehensweise Hackern zu ineffektiv, und politischen Aktivisten zu virtuell und deshalb zu unpolitisch. Die großen Denial-of-Service- Attacken gegen Yahoo usw. waren zwar effektiv, aber sie hatten keinen politischen Gehalt. Das heißt, der Rahmen hat gefehlt, es war in der Öffentlichkeit von Cyberterroristen die Rede, aber im ersten Absatz der Berichte stand nicht: Hacker haben sich gegen den Neoliberalismus zusammengeschlossen, um ... usw.

Aber wäre es nicht beispielsweise ein großer Erfolg der Online-Demonstration gegen [4]Lufthansa am 20. Juni, wenn an diesem Tag aufgrund der großen Demonstrationsteilnahme kein einziges Flugticket online verkauft werden würde? Würde das dem Image des Konzerns nicht am meisten schaden und ihn so zwingen, alle Abschiebungen von Flüchtlingen einzustellen?

Ricardo Domínguez: Ja, aber diesen Effekt könnstest Du auch gezielt mit einer Denial-of-Service-Taktik erreichen. Dafür brauchst Du nicht Tausende von Leuten, Du brauchst nur einen einzigen Hacker. Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen einem effizienten Werkzeug, das etwas zerstört, also wenn beispielsweise ein einziges Individuum eine Art Atombombe hochgehen läßt, und einer öffentlichen Massenaktion.

Außerdem hat diese Aktion meiner Ansicht nach bereits materielle Auswirkungen. Täglich bekommt Lufthansa Telefonanrufe aus der ganzen Welt. "Es gibt doch da eine Aktion gegen Sie? Was hat es damit auf sich? Was ist diese deportation-class-Geschichte?" Und sie sind gezwungen zu reagieren, was ihnen sicher keine Freude macht. Und all das hat auf einer Aktionärsversammlung begonnen, auf der den Aktionären gesagt wurde: "Wenn ihr die Abschiebungspraxis nicht ändert, werden Eure Aktienkurse sinken." Diese Auswirkungen sind vorhanden, obwohl oder weil die Aktion selbst auf der symbolischen Ebene stattfindet. Und wenn sie nicht auf der symbolischen Ebene stattfinden würde, stünden sofort die Regierungen auf dem Plan und würden sagen, das ist Cyberterrorismus, das ist Cyberkriminalität. Es würde eine Repressionslawine auslösen.
Was die Militärs in den Wahnsinn treibt, was die CIA dazu bringt, mit mir sprechen zu wollen, ist genau diese Gratwanderung. Denn sie denken in denselben Maßstäben wie die Aktivisten. Ist das real oder 'nur' virtuell? Ich sage immer, es ist Simulation, und am Ende wissen sie selbst nicht mehr, was Simulation und was real ist. Aber wenn man will, dass Simulation real ist, dann kann sie das durchaus sein. Es geht darum, eine performative Matrix zu entwerfen, die dafür sorgt, dass die Mächtigen stürzen. So dass die gesamte Welt sehen kann, was passiert.

(komplette Fassung: http://www.telepolis.de/deutsch/special/info/7897/1.html)


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