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Berichte

Gröndahl, Boris: "The Script Kiddies Are Not Alright. Abgrenzungen und Differenzierungen unter Hackern"

in: "Telepolis. Magazin für Netzkultur" vom 08.08.2001

In der Berichterstattung ist die Sache klar: Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht irgendeine Zeitung, ein Nachrichtenmagazin oder einer der Infotainmentclips, die auf den kommerziellen TV-Kanälen die Zeit zwischen den Werbeblöcken überbrücken, eine Schauergeschichte über Hacker zu berichten hat. Hier legen sie eine Website lahm, da stehlen sie Kreditkarten-Nummern und dort verbreiten sie Viren und Würmer, die E-Mail- Systeme auf der ganzen Welt mit "Liebesbriefen" oder ähnlichem verstopfen. Im öffentlichen Sprachgebrauch ist längst entschieden: Hacker sind bestenfalls jugendliche Delinquenten, schlimmstenfalls destruktive Terroristen. Sie lauern im Cyberspace und haben es dank schwarzer Computermagie in der Hand, den Stecker aus der Informationsgesellschaft zu ziehen.
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[...] Ein Kapitel aus Levys Buch entwickelte aber vor allem innerhalb der Hackerszene großen Einfluss: Darin schildert er, wie sich um die ersten Computer der 50er Jahre "etwas Neues verdichtete...: eine neue Lebensweise mit einer Philosophie, einer Ethik und einem Traum." Aus den vielen Gesprächen, die Levy mit Hakkern der ersten und zweiten Stunde geführt hatte, destillierte er Grundwerte der Hackerszene, die er als "Hackerethik" bezeichnete:

1. Zugang zu Computern - und allem, was Dich etwas über die Funktionsweise der Welt lehrt - sollte unbegrenzt und umfassend sein. Mitmachen heißt die Devise!
2. Alle Informationen sollten frei sein.
3. Misstraue Autorität - fördere Dezentralisierung
4. Hacker sollten anhand ihres Hackens beurteilt werden, nicht nach unsinnigen Kriterien wie akademischen Rängen, Alter, Rasse oder Stellung
5. Du kannst mit einem Computers Kunst und Schönheit erzeugen.
6. Computer können Dein Leben verbessern. [...]

Externe und interne Grenzziehungen

Es ist klar, dass sich die Binnenwahrnehmung und Selbstdefinition von Gruppen wie Hackern nicht nach wissenschaftlichen Kriterien richtet, sondern auch der Abgrenzung untereinander und nach außen dient. Soweit es um Hacker geht, können vier wichtige Selbstverständnis-Komplexe unterschieden werden:

Die "wahren" Hacker

Die "wahren" Hacker sind das normative Ideal des Jargon Files. Ihrem Selbstverständnis nach unorthodoxe, genialische Programmierer, die dem Ideal der Informationsfreiheit verpflichtet sind, staatliche Autoritäten, gewisse Großunternehmen (IBM, Microsoft) und einige kulturelle Konventionen ablehnen. Zur Zeit dürfte diese Variante hauptsächlich in den Linux/Open Source/Free Software-Communities anzutreffen sein. Obwohl sie tendenziell Regeln missachten, die sie nicht selbst aufgestellt haben, oder die sie für unsinnige und überflüssige Beschränkungen halten, propagieren sie keine illegalen Aktionen. Auch innerhalb dieser Definition gibt es eine große Bandbreite an Differenzierungen, die man personell an den Antipoden Eric Raymond (einem Vertreter eines typisch amerikanischen ultraliberalen Markt- und Waffenfetischismus) und Richard Stallman (einem ebenso typisch amerikanischen Linksliberalen) festmachen kann.

Die "aufklärerischen" Hacker

Das charakteristische Selbstverständnis des CCC ist es dagegen, die Informationsgesellschaft über sich selbst und die Geister, die sie ruft, aufzuklären. Eine ähnliche Haltung findet sich bei den niederländischen Hackern und in den USA rund um die Zeitschrift 2600. Seit 1983 pflegt er die Strategie, Sicherheitslücken etwa bei Banken und Telefongesellschaften zu ermitteln und sie dann öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Das hat ihm in den USA das oben geschilderte Cracker-Image, in Deutschland allerdings eher das eines Daten-Robin-Hoods eingebracht, dessen Informationen erstens seriös sind, zweitens nicht zum eigenen Vorteil verwendet, sondern an die Öffentlichkeit gegeben werden. Die stärkere politische Erdung dieser Gruppe zeigt sich auch in der Verwendung sozialer Hack-Techniken wie Adbusting oder Medien-Hacking. Viele Vertreter dieser Version würden allerdings die Ausgrenzung des Jargon Files nicht auf sich beziehen, sondern auch für sich in Anspruch nehmen, "wahre" Hacker zu sein.

Die Bösen Buben: Script Kiddies, warez d00dz und Freunde

Auch die Hacker der zweiten Generation distanzieren sich heute von den so genannten "Script Kiddies". Die abschätzige Bemerkung über jene Bad Boys spricht das schlimmste Verdikt aus, das einem Hacker widerfahren kann: Dass er in Wirklichkeit nicht programmieren kann, sondern nur mit vorgefertigten Werkzeugen unkundig herumhantiert. Der Teil der Hacker-Szene, gegen den sich solche Beleidigungen richten, fühlt sich mit seinem Bad-Boy-Image indes gar nicht so unwohl und integriert es in die eigene Selbstdarstellung. Zu den popkulturellen Vorbildern, die sich in den Pseudonymen und Gruppennamen widerspiegeln, gehören Punk, Heavy Metal, Grunge und Hip Hop. Die Demo/Warez/Viren-Szene ist tendenziell jung und wesentlich stärker von Immigranten geprägt als die traditionelle Hackerszene - weiblicher ist auch sie allerdings nicht.

Polithacker: Von den Yippies nach Seattle

Eine besondere Untergruppe stellen schließlich jene Hacker dar, die ihr verbotenes technisches Wissen in den Dienst politischer Aktionen stellen. Diese Gruppe hat eine lange Tradition. Ihre bekannteste Vertreterin war in den 60er Jahren in den USA die "Youth International Party", die so genannten Yippies. Die Yippies waren eine recht Aufsehen erregende Spaßguerilla mit Wurzeln in der Beat Generation, berühmt für an den Situationismus erinnernde Aktionen wie die, ein Schwein in der US-Präsidentschaftswahl gegen Richard Nixon kandidieren zu lassen. In ihrem Newsletter "Youth International Party Line" gaben sie praktische Tips zum kostenlosen Telefonieren mit Hilfe der so genannten Blueboxen, was sie als Protest gegen den Vietnamkrieg propagierten. In den letzten Jahren wurden technische Sabotage-Aktionen wie Denial-of-Service-Attacken oder das Manipulieren von Websites ("Defacing") vor allem zunehmend in politische Kampagnen integriert. Beispiele sind Internet- Angriffe gegen die mexikanische Regierung aus Anlass der Chiapas-Aufstände [1], oder Aktionen von Globalisierungsgegnern [2] im Umfeld von Treffen der WTO oder des World Economic Forum in Davos. Ein Sonderfall sind diese Polithacker insofern, als sie häufig den Begriff "Hacker" gar nicht für sich in Anspruch nehmen, auch wenn sie klarerweise Hacker-Techniken anwenden.

Wozu all diese Abgrenzungswut?

Der Versuch der "wahren" Hacker, sich gegenüber ihren schlechter beleumundeten Verwandten abzugrenzen, muss notwendig auf künstliche und willkürlich bestimmte Kriterien zurückgreifen. Es gibt keine positive Definition des Begriffs "Hacker", die illegale, verbotene, sogar illegitime Tätigkeiten nicht wenigstens implizit auch mit einschließen würde. Denn keine wie auch immer geartete Definition des Begriffs, die überhaupt zur Unterscheidung taugt, kommt aus, ohne dass auf das Brechen von Regeln rekurriert wird. Auf Wissen, das entweder nicht dem Mainstream gehört oder ihm entwendet wurde, auf den Umgang mit Technik in einer Weise, die nicht beabsichtigt war. Lässt man den expliziten Anti-Cracker-Paragraphen aus der Definition des Jargon Files weg, so findet sich nichts in ihr, was verbieten würde, "Cracker" als Hacker zu bezeichnen. Im Gegenteil, Paragraph sieben ("Umgehen von Hindernissen") lädt geradezu dazu ein, sie als Teil der Gemeinde zu verstehen. Klar ist auch, dass des einen Kavaliersdelikt des anderen Straftat ist. Levys "Hacker" und auch das Jargon File kennt zahllose Beispiele von Regelübertretungen, die in den Augen der "wahren" Hacker harmlose Jungsstreiche, befreiende Heldentaten, oder berechtigter Ungehorsam darstellen. Aber diejenigen, gegen die sie sich richteten, haben zu ihrer Zeit natürlich ebenso über "delinquente Jugendliche" geschimpft, wie die "wahren" Hacker es heute tun.
Warum dann diese Abgrenzungswut? Veränderte individuelle Lebensumstände können sicher teilweise zur Erklärung dieser zweierlei Maßstäbe dienen. Wer sich mühsam vom Außenseiter in die Mitte der Gesellschaft vorgearbeitet hat, mag nicht von späteren Generationen daran erinnert werden, dass er nun seine Rebellenposition aufgegeben hat. Auch dass ihm die heutigen Codes der Jugendkultur - ihre Musik, ihre Mode, ihre Sprache - nichts mehr sagen, mag schwer zuzugeben zu sein. Auch der gesellschaftliche Kontext hat sich während 40 Jahren Hackergeschichte gewandelt. Computer sind heute - nicht zuletzt dank der Hacker --keine Veranstaltung in der abgeschirmten heilen Welt weißer Eliteuniversitäten mehr. Damit haben sich auch die Zwecke, zu denen sie eingesetzt werden kann, vervielfältigt. Und nicht zuletzt hat die massive Kriminalisierung der Hackerszene, die insbesondere in den USA seit Anfang der 90er Jahre stattgefunden hat (von Bruce Sterling in "The Hacker Crackdown"7 , und von Josh Quittner/Michelle Slatalla in "Masters of Deception"8 eindrucksvoll beschrieben) einen Distanzierungsdruck erzeugt, dem sich viele nicht entziehen konnten.

(komplette Fassung: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/9266/1.html)


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