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Pressespiegel

Handelsblatt

 

Handelsblatt, 23.1.2003
Weltsozialgipfel in Brasilien - Streit um Präsident Lula als Hauptredner
Globalisierungsgegner fordern internationale Konzerne heraus

von ALEXANDER BUSCH

Die Alternativveranstaltung zum Davoser Weltwirtschaftsgipfel in Porto Alegre erwartet im dritten Jahr ihres Bestehens mehr Besucher als je zuvor. Für Streit sorgt jedoch die geplante Teilnahme von Präsident Lula.

Kurz vor Beginn des dritten Weltsozialgipfels im südbrasilianischen Porto Alegre erregt ein handfester Streit die Gemüter: Darf Luis Inácio Lula da Silva als Präsident Brasiliens eine der zentralen Ansprachen der Veranstaltung halten? Nach Ansicht einiger Organisatoren verstoße dies gegen die Charta des Weltsozialgipfels, nach der die Veranstaltung nicht für Staatschefs gedacht sei.

Die brasilianische Arbeiterpartei PT und französische Intellektuelle, darunter die Herausgeber der französischen Zeitung "Le Monde Diplomatique", haben das Weltsozialforum 2001 als Alternative zum Weltwirtschaftsforum in Davos gegründet. Die Teilnehmer des Forums protestieren gegen die "kapitalistische Globalisierung."

Auf der Tagesordnung stehen in diesem Jahr fünf thematische Schwerpunkte: Nachhaltige Entwicklung, Menschenrechte, Medien und Kultur, Zivilgesellschaft und politische Macht, demokratische Weltordnung, für Frieden und gegen Militarisierung. Eine Forderung der Nichtregierungsorganisationen umfasst "Globale Regeln für globale Konzerne", mit der international operierende Unternehmen zu hohen sozialen und ökologischen Standards verpflichtet werden sollen.

In diesem Jahr rechnen die Veranstalter mit rund 100 000 Teilnehmern - rund doppelt so viele wie im vergangenen Jahr, darunter drei Dutzend Prominente der Bewegung. Damit droht die Veranstaltung aus allen Nähten zu platzen. Von heute an bis zum 28. Januar werden auf rund 1 800 Konferenzen, Plenen, Workshops und Seminaren die Ideen und Vorschläge der Globalisierungsgegner diskutiert.

Die zunehmende Popularität des Gipfels führen viele der Organisatoren auf Präsident Lula und den Wahlsieg der Linken in Brasilien vor drei Monaten zurück. Sie befürworten daher eine Teilnahme Lulas auf das Entschiedenste. So erteilt Oded Grajew, Mitgründer des Sozialgipfels und jetziger Berater Lulas, den Kritikern eine Absage: "Es ist absurd, wenn alternative Politiker nicht mehr auftauchen können, so bald sie gewählt sind." Auf Widerstand stoßen jedoch die Reisepläne Lulas nach der Teilnahme in Porto Alegre: Lula wird von Südbrasilien direkt nach Davos fliegen, um dort mit rund einem Dutzend Ministern sich und seine Regierung vor der internationalen Wirtschaftselite vorzustellen. Für Candido Grzybowski vom mit organisierenden brasilianischen Sozialinstitut Ibase erniedrige sich Lula unnötig. "Lulas Teilnahme in Davos und Porto Alegre zeigt die Schizophrenie einer Regierung, die neoliberale Wirtschaftspolitik mit sozialer Veränderung kombinieren will", kritisierte er.

Neben dem Ministerpräsidenten wollen sich auch mehrere Minister, Bürgermeister und Gouverneure der Arbeiterpartei PT an der Veranstaltung beteiligen. Immerhin ist die jetzige Regierungspartei PT eine der entscheidenden Initiatoren des Gipfels gewesen, der sich seit dem ersten Treffen 2001 zu dem wichtigsten alternativen Gipfel weltweit entwickelt hat. Zudem gilt die von der PT regierte Stadt Porto Alegre in den Bereichen soziales Wohnungswesen, Personennahverkehr, Straßenreinigung, Müllabfuhr, ambulante und stationäre Krankenversorgung, Kanalisation als gutes Beispiel für demokratische Mitbestimmung.

Erstmals stellen französische Politiker und Intellektuelle nicht den größten Anteil der ausländischen Teilnehmer. Diesen Platz nimmt die US-Delegation mit über 1 000 Vertretern verschiedener Organisationen ein. "Die Welt soll sehen, dass nicht alle US-Amerikaner Bush-Anhänger sind", sagt ein Vertreter. Der Gipfel tagt 2003 das letzte Mal in Brasilien und soll das nächste Mal in Indien statt finden.

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Handelsblatt, 27.1.2003
Auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre ist nur wenig von Aufbruchstimmung zu spüren
Alternativen zur Globalisierung fehlen

von ALEXANDER BUSCH

Zum dritten Mal diskutierten in Brasilien Globalisierungsgegner über eine gerechtere Weltordnung. Der Gegengipfel zu Davos zeichnete sich jedoch vornehmlich durch ein Organisationswirrwarr aus.

Mit rund 100 000 Teilnehmern hat sich das Weltsozialforum von Porto Alegre als das weltweit größte Treffen von Globalisierungskritikern behauptet. "Hier findet eine Bewegung zusammen, die lange Zeit nur fragmentiert und zerstritten existiert hat", sagt der Soziologe Walden Bello von der Organisation Focus on the Global South aus Bangkok, einer der führenden Intellektuellen des Forums.

Nach Einschätzung der meisten Teilnehmer hat Porto Alegre als Gegengipfel zum Weltwirtschaftsforum in Davos dem elitären Zirkel in der Schweiz längst den Rang abgelaufen. "Die politische Ausstrahlung des Forums hat stark zugenommen", meint Peter Wahl von Attac Deutschland, "und die Botschaft ist eindeutig: Die neoliberale Politik ist am Ende."

Doch viel weiter als über diesen grundsätzlichen Konsens ist das dritte Forum in Südbrasilien seit 2001 nicht hinausgekommen. Mit der Ablehnung eines Angriffs auf den Irak konnten sich die Teilnehmer zwar erneut auf eine aktuelle Plattform einigen - doch das war es dann auch. Neue Alternativen oder Strategien gegen die Globalisierung fehlten. Griffige Ansätze der vergangenen Jahre, wie etwa die Tobin-Steuer auf Spekulationskapital, tauchten als Thema gar nicht mehr auf.

Das Forum hat Schwierigkeiten, auf einen Nenner zu kommen. Einerseits ist das "Modell Porto Alegre" organisatorisch an seine Grenzen gestoßen. Erstmals ist es dem Veranstalterkreis um die brasilianische Arbeiterpartei PT und den Herausgebern der links-intellektuellen französischen Zeitung "Le Monde Diplomatique" nicht mehr gelungen, das Treffen übersichtlich zu organisieren. Die Veranstaltungsorte lagen weit auseinander, das Programm stand erst am zweiten Tag fest. Es war fast unmöglich, bei dem Wirrwarr von 1 800 Konferenzen, Workshops und Seminaren die wichtigen Veranstaltungen herauszufiltern. So kam es, dass selbst hochrangige Globalisierungskritiker zum Teil vor wenigen Zuschauern debattierten.

"Die Veranstaltung ist groß und zu ambitioniert geworden", urteilt Jürgen Stetten, Globalisierungsexperte von der Friedrich-Ebert-Stiftung aus Berlin. Inhaltliche Diskussionen würden auf hohem Niveau aggregiert nur in kleinen Zirkeln stattfinden. Das Forum insgesamt sei zu einer "politisch korrekten Jubelveranstaltung" verkommen, kritisiert ein anderer deutscher Teilnehmer. Künftig soll das Weltsozialforum deshalb durch regionale Foren - wie in den vergangenen Jahren bereits in Asien und Europa - ergänzt werden.

Ein anderer Grund für die fehlende Aufbruchstimmung in Porto Alegre ist neben der etwas ruhiger gewordenen Globalisierungskritik allgemein auch der aktuelle Präsidentenwechsel in Brasilien: Mit Luis Inácio Lula da Silva ist nun einer der wichtigsten Protagonisten der bisherigen Foren zum Präsidenten gewählt worden - und ist damit vor knapp einem Monat ins Lager der Macht gewechselt.

Seine Präsidentschaft wird bereits "als der Beginn vom Ende des Neoliberalismus" in Lateinamerika gefeiert, wie der Soziologe Emir Sader von der Forumsleitung meint. Doch Lula und seine Minister waren in Porto Alegre vor allem damit beschäftigt, die hohen Erwartungen zu dämpfen. So appellierte Lula in seiner umjubelten Ansprache daran, dass seine Regierung erst am Ende der Amtszeit gemessen werden sollte.

Nach seiner Rede machte sich Lula auf den Weg zum Weltwirtschaftsforum ins schweizerische Davos. Er wolle dort den Reichen und Mächtigen die Meinung sagen, erklärte der Präsident. In Davos angekommen rief er zum Kampf gegen die Armut in seinem Land auf. "Der Kampf gegen den Hunger ist nicht nur eine Regierungsaufgabe, sondern eine für die ganze Gesellschaft."

Viele Teilnehmer kritisierten die Reise nach Davos. Bernard Cassen von "Le Monde Diplomatique" gab kritisch zu: "Es gibt jetzt bereits eine ganze Menge Frustrationen über die Wirtschaftspolitik der Regierung Lula." Deswegen legten die Veranstalter Wert darauf, dass das nächste Forum in Indien stattfindet - auch, um zu vermeiden, dass es dann zu einer Konfrontation mit einer vielleicht enttäuschenden Regierung Lula kommt.

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Handelsblatt online, 27.1.2003
Chávez sorgt für Verstimmung

HB/dpa PORTO ALEGRE. Obwohl viele der Forumsteilnehmer Sympathien für Chávez und dessen erklärtes Ziel der Armutsbekämpfung äußerten, war in der Zeitung des Treffens eine Teilnahme des Staatschefs an Veranstaltungen abgelehnt worden. Politiker werden traditionell nicht zu dem Welttreffen der Globalisierungskritiker eingeladen. Unterdessen wurden die bekannten Soziologen, Schriftsteller und Theologen, der Uruguayer Eduardo Galeano, der Schweizer Jean Ziegler, der Brasilianer Leonardo Boff und die Inderin Radha Kumar in einer überfüllten Halle von 20 000 Zuhörern gefeiert. Sprecher forderten übereinstimmend, den Menschen und nicht die Gewinnmaximierung in den Mittelpunkt zu stellen. Galeano rief zum Aufbau einer Weltöffentlichkeit von unten auf. Nur gemeinsam und solidarisch könnten sich die Menschen gegen die übergroße Macht der Großunternehmen und Banken sowie die von den USA ausgehende Kriegsgefahr zur Wehr setzen. "Sich gemeinsam verteidigen und die Nahrung teilen", diese uralte Strategie des Menschen sei auch heute noch aktuell, sagte Galeano unter großem Beifall. Chávez, den die Opposition in Venezuela mit einem seit fast acht Wochen dauernden Streik aus dem Amt drängen will, wurde hingegen ein lauer Empfang bereitet. Zu knapp 1 000 Sympathisanten sprach er kurz von einem Balkon herab und entrichtete den "Gruß des venezolanischen Volkes". In Porto Alegre nehmen rund 100 000 Vertreter alternativer und linker Basisgruppen, Bürgerinitiativen und Gewerkschaften an dem dritten Jahrestreffen dieser
Art teil. Später wiederholte Chávez auf einer chaotisch organisierten Pressekonferenz bekannte Vorwürfe gegen die Opposition. Sie sei "ferngesteuert", den Streik gebe es gar nicht und in Wirklichkeit habe sich nur die "wirtschaftliche Elite" des Landes zu einem "Putsch" gegen ihn
verschworen. "Es ist nicht die Zeit für Wahlen. Den Wahltermin bestimmt die Verfassung", wies er erneut Forderungen nach einem Rücktritt zurück.

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Handelsblatt, 28.1.2003
Meinung und Analyse

Von Eric Bonse

Die Hoffnung auf eine bessere Welt hat einen neuen Namen: Luis Inacio Lula da Silva. Der brasilianische Präsident, den seine Anhänger zärtlich "Lula" nennen, hat sich in Rekordtempo zum weltweit hofierten Sprecher der Armen und zum Ansprechpartner der Reichen gemausert.

Auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre war Lula ebenso willkommen wie beim World Economic Forum in Davos. In den Favelas von Rio de Janeiro vertraut man dem Sozialisten genauso wie beim IWF in Washington. Selbst der Vatikan glaubt an Lula: Schließlich beruft sich der bärtige frühere Schuhputzer auf Jesus Christus - und verspricht, nicht in Palästen, sondern "von der Straße" aus zu regieren.

Da Silva ist damit der erste Lateinamerikaner, der die Versöhnung von Nord und Süd symbolisiert. Er ist zudem der erste Staatschef, der die Botschaft der Globalisierungskritiker aus Porto Alegre nach Davos trug. Auch in Berlin wurde der Brasilianer gestern mit offenen Armen empfangen.

Der sympathische Wandler zwischen den Welten kann jedoch nicht alle Hoffnungen erfüllen. Kurzfristig sind die Erwartungen der brasilianischen Wähler und die Forderungen der ausländischen Gläubiger kaum zu vereinbaren. Die Brasilianer erwarten schnelle Fortschritte im Kampf gegen die Armut, die Gläubiger hingegen einen zuverlässigen Schuldendienst. Angesichts schwachen Wachstums und harter IWF-Auflagen steht Lula vor einer kaum zu lösenden Aufgabe.

Ein Scheitern kann jedoch niemand wünschen: Denn wenn Brasilien ausfällt, würde auch der IWF in den südamerikanischen Strudel hineingerissen. Dann wären nicht nur 30 Mrd.$ Kreditzusagen verloren, sondern auch die Hoffnung auf eine stabilere Welt.

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