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Ein anderes Europa. Aber auch eine andere, nicht mehr patriarchale Bewegung.

Übersetzung eines Artikels aus der italienischen Zeitung L´Unitá. Schwerpunkte sind die Verantwortung der Franzosen für eine zweifelhafte Organisation, die Frauenkonferenz und Europa.

von rf

PARIS. Das europäische soziale Forum ist mit passablem politischem Erfolg zu Ende gegangen, mit einigen Fragezeichen und einem eher schlechten organisatorischen Ergebnis. Der politische Erfolg beruht auf zwei Dingen: die erneute Behauptung der Kraft und der (inzwischen unanzweifelbaren) Massenwerdung der Bewegung sowie die Definition einer europäischen Linie, die eine beträchtliche Neuigkeit darstellt und die Bewegung in eine Position der Stärke gegenüber den traditionellen politischen Kräften bringt. Die Fragezeichen sind im wesentlichen zwei: erstens: das Verhältnis zwischen der Bewegung und den politischen Parteien; zweitens, die Frage, ob die Makroanalysen und die spezifischen Vorschläge der Bewegung Wege finden werden, sich zu politischen und programmatischen Vorschlägen zu konkretisieren, die es vermögen, unmittelbar von den Menschen (multitudes, in der no-global-Sprache) verstanden zu werden und bestimmenden Einfluss auf die Regierungen oder auf die Oppositionsparteien zu nehmen.

Das Organisatorische Scheitern ist voll und ganz den Franzosen anzulasten, die es nicht mal im Entferntesten vermocht haben, die großartigen Erfahrungen von Florenz und Porto Alegre zu wiederholen. Warum? Sie haben das Forum als eine Aneinanderreihung von nicht zusammenhängenden Debatten konzipiert. Sie haben es an fünf unterschiedlichen Orten Statt finden lassen, die auch etliche Kilometer voneinander entfernt waren (Mitunter auch einundhalb Stunden zwischen einem Veranstaltungsort und dem nächsten, mit Bus, Metro und langen Fußwegen). So ist die Universalität der Diskussion, die immer die Vorausgegangenen Foren ausgezeichnet hatte abhanden gekommen, und es ist auch der gemeinschaftliche Aspekt abhanden gekommen, mit den Emotionen, den Leidenschaften, den gemeinsamen Gefühlen die ihn charakterisieren, und damit ein nicht zweitrangiger Aspekt des Forums. In Paris war es unmöglich sich zu treffen, es war schwierig, Erfahrungen und Meinungen auszutauschen, neue Leute und Menschen aus anderen Ländern kennen zu lernen, an einer großen Zahl von Seminaren und Plena teilzunehmen. Zu dieser Unzulänglichkeit kam eine rigide Organisation (Die Verwendung von privaten Sicherheitsunternehmen, die gelegentlich auch Gewalt angewendet haben, und der Zwang, dass in den Sälen jeder auf einem Stuhl zu sitzen habe, und wenn es keine Stühle in ausreichender Menge gab niemand mehr rein dürfte), welche die Teilnehmer sehr irritiert hat (besonders die Italiener).

Dennoch kann man nicht sagen, dass das Forum kein Erfolg gewesen sei. Über 40.000 Menschen haben sich unter Entrichtung von 30 Euro angemeldet, um an den Debatten Teil zu nehmen. Die Plenarversammlungen sind über fünfzig gewesen, jede mit 1500 bis 2000 Teilnehmer plus all jene, die draußen geblieben waren, weil sie von den Wachen blockiert wurden. Es fanden knapp Tausend Seminare und AGs statt. Die Turnhallen, die den Jüngeren zum Übernachten zur Verfügung gestellt worden waren, haben gut funktioniert. An der Abschlussdemonstration haben sich fast 500.000 Menschen beteiligt, eine Zahl, die angesichts der traditionellen Maßstäbe in Paris wirklich gigantisch war. Die Zahlen sagen, dass Paris die Größenordnungen von Florenz 2002 erreicht oder diese sogar überrundet hat.

DIE FRAUEN. Eine wichtige Neuigkeit auf diesem Forum war die Sichtbarkeit der Frauenfrage. Während der ersten drei Jahre der Bewegung war sie nicht in dieser Form präsent. In Paris wurde sie in Zusammenhang mit verschiedenen Anlässen sichtbar. Beispielsweise während des Tages vor der offiziellen Eröffnung des Forums, als in Bobigny fünf oder sechs Plena stattgefunden haben, die alle sehr gut besucht waren. Die Frauen haben über viele Themen diskutiert, (Krieg, Information, Migration, soziale Rechte usw.) aber im Grunde haben sie eine einzige Frage gestellt: die Frage nach der Umgestaltung der Macht. Was dies Bedeuten soll? Dass sich die no-global Beweung auf der Vorstellung gründet, dass die Macht kritisiert, demontiert, unschädlich gemacht und umgestaltet gehört. Die Kraft dieser Bewegung ist, dass sie sich nie das Ziel gesetzt hat, die Macht zu erobern, sondern sie zu kritisieren. Die Frauen sagen, dass ihr Kampf von dieser Vorstellung ausgeht. Die Unterdrückung des weiblichen Teils der Menschheit hat sich über einen extrem simplen Mechanismus im Laufe der Jahre verewigt: die Frauen von der Macht auszuschließen. Es ist ein Mechanismus, der immer noch perfekt funktioniert, in der ganzen Welt, auch und zwar im großen Stil in der westlichen Welt. Die Macht als Herrschaftsmechanismus zu demontieren und sie in einen schlichten Organisations- Verteilungs- und sogar Sozialisationssystem zu verwandeln in dem es keine Führung und kein Aufzwingen gibt, sondern Gleichheit und Konsens - das bedeutet nicht nur die Verhältnisse der sozialen Gruppen, der Klassen, der Wirtschaftssysteme und Kultursysteme und so weiter zu verändern; das heißt, dass eine vollständige Veränderung der Verhältnisse zwischen den Geschlechtern her muss, durch die Abschaffung der männlichen Vorteile. Die Macht zu eliminieren (verändern) bedeutet, den Vorteil zu eliminieren.

DIE FRAUEN/2. Nachdem sie im Vorfeld besprochen wurde, ist die Frauenfrage in vielen Debatten der offiziellen Tage des sozialen Forums wieder aufgetaucht. Zum Beispiel, bei verschiedenen Diskussionen zum Thema "Welches Europa". In einer dieser Versammlungen hat Gundrum Schyman gesprochen, eine Frontfrau der schwedischen Linken, die Vertreterin der Bewegung "Frauen ohne Grenzen" ist und hatte einen riesigen Erfolg. Sie hat verschiedene Dinge gesagt, vor allem, dass man nicht versteht, warum die Bewegung den Frauenfragen den Tag vor der offiziellen Eröffnung gewidmet hat, und nicht einen oder sogar zwei der offiziellen Tage. "Liegen die Gender-Fragen sind außerhalb der Bewegung?" hat sie gefragt, und dann hat sie gesagt, dass Europa, so wie es sich gerade abzeichnet, ein Kontinent ist, in dem noch das Patriarchat regiert. Und wenn das Patriarchat regiert, kann Demokratie nicht funktionieren. Demokratie bedeutet Regierung der Menschen, und man meint alle Menschen, aber in den modernen Gesellschaften auch des Westens ist die Hälfte von ihnen davon ausgeschlossen. Die Frauenfrage ist also nicht "eine" der Fragen in der modernen Politik, sondern gegenüber allen anderen eine prioritäre und ................. Wird sie nicht gelöst, gibt es keine Demokratie. Gibt es keine Demokratie, können alle anderen Probleme einer Veränderung der Welt nicht angegangen werden. Wo ist das Projekt eines Europa oder einer Welt der Gleichen unter Gleichen wenn es keine Gleichheit unter den Geschlechtern gibt? Welche andere Welt ist möglich, wenn die Unterdrückung einer Hälfte der Menschheit durch die andere Hälfte andauert? Auch die Gewerkschaften tragen große Verantwortung. Weil sie die Frauenfrage als ein Problem des Minderheitenschutzes behandeln. Dem ist nicht so: Wegen der simplen mathematischen Tatsache, dass die Frauen die Mehrheit sind. Gundrum Schyman hat ihre Rede mit einem Satz beendet, den sogar die anwesenden Mäner mit Beifall begrüßten: Das Schlachtfeld ist am Küchentisch.

EUROPA: Wichtigstes Argument aller Debatten ist Europa gewesen. Ein gigantisches Thema, weil es in seinem Inneren fast alles beinhaltet: Neoliberalismus, Markt, Migration, Rechte, Sozialsysteme, Religion, Rüstung und so weiter. Konnte eine Linie definiert werden? Ja, um es genauer zu sagen, wurden anderthalb Linien definiert. Das Forum ist sich einig in der Analyse, aber es ist geteilt bezüglich der zu wählenden Vorgehensweisen. (Es muss zwischen Foren und Bewegung unterschieden werden: Am Forum sind verschiedene Kräfte auch institutioneller Art beteiligt, die institutionellen Kräfte sind jedoch außerhalb der Bewegung, wie zum Beispiel die Gewerkschaften.) Die europäische Verfassung ist keinem geheuer, alle sehen sie als Teil des neoliberalistischen Systems, das der Verherrlichung des Marktes unterliegt und der Identifikation von Wettbewerb und Freiheiten, das im Wesen nicht gerade pazifistisch ist, zu nachgiebig im Bereich der Arbeiterrechte, schwach in Fragen wie Residenzrecht und Migration. Die Bewegung sagt, dass die europäische Verfassung ganz neu gemacht werden muss. Die Gewerkschaften finden, dass sie korrigiert gehöre und dass sie ein gutes Instrument werden könne, um zu kämpfen und schrittweise das Modell eines anderen Europa durchzusetzen. Über die Gegnerschaft zwischen dem liberalen Europa dass mit dem Verfassungsentwurf Giscards vorgeschlagen wird und dem eines sozialen Europas ist die Einigkeit vollkommen. Über die Kampfwege besteht Dissens. Ein Dissens, den Franco Russo auf deutliche Weise in der Plenarversammlung formuliert hat, bei der für die europäischen Gewerkschaften auch Guglielmo Epifani und der Frontmann der französischen Bewegung Pierre Kahlafa auftraten.

(Quelle: http://www.unita.it/)

 

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