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Berichte

Adieu Paris 2003

Erste Rendezvous der altermondialistischen und feministischen Bewegung

von Silke Veth (Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin)

Der Weg der feministischen Bewegung war weit bis nach Bobigny, ins Herz des diesjährigen europäischen Sozialforums. Noch nie war in der Geschichte der Sozialforen die Frage der Geschlechtergerechtigkeit und die alte feministische Forderung nicht nur nach einem größeren Stück Kuchen, nicht nur nach der ganzen Bäckerei, sondern auch nach einer anderen Bäckerei so laut zu hören. Trotzdem: Die Frauenvollversammlung, die von gut 2000 Frauen und! Männern besuchte wurde, ein gemeinsames Manifest verabschiedete und in eine eigene Auftaktdemonstration mündete, fand in aller Abgeschiedenheit einen Tag vor der offiziellen Eröffnung des ESF statt.

Immerhin, aber warum? Interessant wären die Analysen zu Themen wie Sexual and Reproductive Rights, zu Macht, Migration, Gewalt, Beschäftigung, Prekarität und Arbeit sowie zu Frauen und Krieg auch für die großen Konferenzen und Seminare der Folgetage gewesen. Leider konnten wenige der Ergebnisse dieser „Europäischen Versammlung für Frauenrechte“ in die manchen gendersensiblen Betrachtungen der offiziellen ESF-Veranstaltungen einfließen und diskutiert werden. Das lag zum Teil an den unfreundlichen Kongressbedingungen in Paris. Keiner der vier großen Veranstaltungsorte bot die Möglichkeit eines Austausches über die konkrete Veranstaltung hinaus an, keiner der Orte stand für eine thematische Schwerpunktsetzung. Durch bspw. ein Zelt, in dem die weit verstreuten feministischen Diskussionen über die gesamte Zeit hätten zusammengetragen werden können oder auch die Zusammenführung verschiedener genderspezifischer Analysen, lokaler Situationen und Praxen am Ende des Forums in Form einer Abschlussversammlung wäre viel in Paris vorhandenes Potenzial zum Lernen voneinander besser nutzbar gewesen. Die Aneinanderreihung heterogener „Länderberichte“ spiegelt aber auch den Zustand der feministischen Bewegung weltweit wieder. Eine ständig präsente Frage war, wie eine neue starke Bewegung das Moment der diversity, der Vielheit, der Verschiedenheit wahrnehmen wie auch berücksichtigen kann und dennoch gemeinsame Themen und Forderungen kollektiv benannt und bearbeitet werden können. Auf keinen der großen Konferenzen und Podien war es gelungen, über die Information über die jeweilige nationale Lebens- und Arbeitssituation hinaus, Erfahrungen und Analysen in einen gemeinsamen politischen Rahmen Europa zu stellen und sich in die sowohl hegemonialen wie auch kritischen Diskussionen einumischen. Eins war jedoch unüberhörbar: feministische und damit gesellschaftskritische Bewegungen haben nur eine echte Überlebenschance als Bewegungen, die auch leben, wenn sie es schaffen, erstens auch Männer, die zunehmend weltweit unter herrschenden patriarchalen und kapitalistischen Bedingungen leiden, mit ins Boot zu holen und zweitens den Brückenschlag zu anderen Bewegungen zu machen. Daher muss in den nächsten Sozialforen dieses erste Rendezvous der feministischen und der alter-mondialistischen Bewegung zu einer ernsthaften Dauerverabredung werden. Not longer talking to the converted!

Solche Großereignisse feiern ihre Erfolge jedoch auch oft im Stillen. Neben den Podien und Workshops, die auf internationalen Austausch angelegt waren, fanden Zusammenkünfte statt, wo die gut funktionierende Übersetzung nur für wenige Menschen arbeitete, obwohl mehr als 200 Personen anwesend waren. Kurz: das Sozialforum bot besonders für die französische Bewegung und meines Erachtens auch für die BewohnerInnen der Vororte, in denen die Veranstaltungen stattfanden, einen Ort zur Diskussion. Hier war besonders die Auseinandersetzung um Migration, Einwanderung, Nationalität und Laizismus besonders präsent. Gerade die sog. Kopftuchfrage, die auch in Deutschland in den letzten Monate ein Brennglas für Fragen nach Mehrheitsgesellschaft, Integration, Feminismus, Islam als Religion und Islamismus als politische Ideologie sowie dem Kampf von Frauen um „the right to decide“, war, spielte an vielen, auch im Programm prominent ausgewiesenen Orten in Paris immer wieder eine bedeutende Rolle.

Produktive Vernetzung und die Möglichkeit, Diskussionen so zu führen, dass ein Bezug der Beiträge aufeinander hergestellt werden konnte, fand zudem in den zahlreichen kleineren Workshops statt. Obwohl und wahrscheinlich auch weil diese nicht in der Presse benannt werden und aufgrund international nicht bekannter Rednerinnen und Rednern nicht die Massen begeistern, liegt dort die Basis der Sozialforumsidee, ohne die solche Treffen nur ein selbstbestätigende Konferenz linker Intellektueller ohne Praxis wären. Adieu Paris.

 

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