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Berichte

Statt Utopien Arbeit und Hingabe

Manifest stellt klare Forderungen - Gegen Privatisierung von Gemeinschaftsgütern

(von SIBYLLE TEPPER, CARLOS BRÜCKNER, DPA, veröffentlich in der Heidenheimer Zeitung)

Das Weltsozialforum hat nicht nur mehr Gerechtigkeit für Entwicklungsländer gefordert. Die Globalisierungsgegner haben konkrete Aktionen vereinbart. Zum Tag des Wassers am 22. März wollen sie etwa weltweit gegen die Privatisierung der Wasserversorgung protestieren.

Schon um elf Uhr morgens ist es 30 Grad heiß am Ufer des Guaiba-Flusses in Porto Alegre. Während beim 5. Weltsozialforum in Südbrasilien tausende Teilnehmer über eine gerechtere Welt diskutieren, fächelt sich am Ufer des träge dahinziehenden Flusses eine junge Frau mit einem Faltblatt Luft zu, das den Weg zu den offiziellen Solidaritäts-Verkaufsständen weist. Kaufen kann sie allerdings nichts, und zu verkaufen hat sie auch nichts. Denn sie ist eine der Müllsammlerinnen, die Wasserflaschen, Bierdosen, Plastiktüten, Essensreste und Zeitungen auf dem Gelände auflesen. Die Kämpfer für eine gerechtere Welt tun sich bisweilen schwer bei der direkten Begegnung mit der Armut. Am Eröffnungstag zogen rund 200 000 Demonstranten mit Trommeln und Sprechchören durch die Stadt, während die Armen gegen den Strom zogen und gekühltes Wasser und Bier verkauften, manchmal sogar eine unter Globalisierungskritikern verpönte Dose Coca-Cola. Mitfühlende Händler boten ein Stück Zeitungspapier zum diskreten Einwickeln an.

Unfreiwillige Gaben

Dass das Aufeinandertreffen der Armen und weniger Armen auch beim Weltsozialforum nicht immer friedlich verläuft, darauf weisen die Sicherheitswarnungen der Veranstalter hin. Sie raten, keine Wertsachen dabei zu haben, mit dem Mobiltelefon nicht auf offener Straße zu telefonieren, nicht allein einzukaufen, bei Überfällen die Ruhe zu bewahren, sich die Diebe genau anzuschauen, ihnen zu geben, was sie verlangen, und darauf zu achten, ob sie eventuell bewaffnet sind. Zum Wochenende machte das Großaufgebot linker Stars wie die Schriftsteller Eduardo Galenao (Uruguay), Ignacio Ramonet (Spanien) und José Saramago (Portugal) den 150 000 Teilnehmern Mut, weiter für eine bessere Welt zu kämpfen. Mit donnerndem Applaus feierten sie den portugiesischen Literaturnobelpreisträger José Saramago (Die Stadt der Blinden"). Er ist bei seiner ersten Teilnahme an diesem Forum zur lautesten Stimme jenes Flügels unter den Kritikern von Globalisierung und Neoliberalismus geworden, der mehr konkrete Aktionen fordert, um dem Motto der Tagung "Eine bessere Welt ist möglich" gerecht zu werden. Die Linke müsse ihre Ansichten überprüfen. Das Wort Utopie sollten sie aus ihren Wörterbüchern streichen. "Wenn unsere Utopien bald verwirklicht werden, würden sie nicht Utopien, sondern Arbeit und Hingabe genannt werden", sagte er. Die heutigen Demokratien seien amputiert, Institutionen wie Uno, Weltbank oder die Welthandelsorganisation WTO seien überhaupt nicht demokratisch. Er stand mit seiner Meinung nach konkreten Aktionen nicht allein. Der frühere Generaldirektor der Unesco, der Spanier Federico Mayor Zaragoza, stimmte zu. "Wir sollen Realisten sein, aber Realisten werden die Wirklichkeit nie verändern, weil sie akzeptieren, wie sie ist." Er rief zu friedlichem und aktivem Widerstand gegen nicht mehr zu tolerierende Situationen auf. Was das Weltsozialforum darunter versteht, fasste Ignacio Ramonet, Gründer der Nichtregierungsorganisation Attac, zum Abschluss des Treffens im "Manifest von Porto Alegre" zusammen. Es handle sich um Hauptforderungen: die Schaffung einer Weltsteuer gegen Hunger und Elend, die Abschaffung der Steuerparadiese, Schuldenerlass für die ärmsten Länder sowie die Garantie der Trinkwasserversorgung für die Menschheit. Es gebe bereits einen Konsens für diese Forderungsliste, versicherte Ramonet. Am Beispiel Trinkwasser erklärte die kanadische Bürgerrechtlerin Maude Barlow (57), welche Entwicklungen aufs Korn genommen werden sollen. Im Nahen Osten, in 22 Ländern Afrikas, in Teilen des Mittelwestens der USA und in Mexiko-Stadt gehe das Wasser aus. Ohne ein Umsteuern werde sich diese Situation bis 2025 auf zwei Drittel der Welt ausdehnen. Bereits heute sterbe alle acht Sekunden ein Kind wegen fehlenden Zugangs zu sauberem Trinkwasser.

Ein hübscher Name

Die Krise verschärft sich laut Barlow, weil die Regierungen der Industriestaaten die Länder des Südens in Gesprächen über den Handel mit Dienstleistungen zum Ausverkauf ihrer öffentlichen Wassersysteme drängten. Lateinamerika sieht die Autorin des Bestsellers "Blaues Gold" als Testgelände für die westlichen Wasserkonzerne. Firmen wie Suez, Vivendi, RWE, Nestlé oder Coca-Cola wollten den Zugriff auf das noch unverseuchte Süßwasser in der wasserreichsten Region der Erde. Ganze Landstriche würden wegen des Grundwassers aufgekauft und die indianischen Einwohner vertrieben. Auch von den öffentlich-privaten Partnerschaften, wie sie auch in Deutschland favorisiert werden, hält Barlow nichts. Das seien Privatisierungen mit einem hübscheren Namen. Das Modell sieht vor, dass Privatfirmen die Wasserversorgung übernehmen, aber vom Staat oder der Gemeinde überwacht werden. Doch Gewinnstreben und der Aufbau umweltverträglicher Wassersysteme, die auch den Armen zugute kommen, sind laut Barlow ein unauflöslicher Widerspruch. Diese Forderung, die in Protestaktionen zum Weltwassertag am 22. März unterstrichen werden soll, ist im Jugendcamp schon mal Wirklichkeit geworden: Dort gibt es an Zapfstellen Trinkwasser für alle. Außerdem haben die Organisatoren für Hygiene gesorgt. Es gibt Chemietoiletten und zweihundert Gemeinschaftsduschen im Freien, wo die Camper in Bikini und Badehose den Schweiß des Tages abduschen können. Und sogar organische Seife wurde verteilt, denn das Duschwasser soll den kleinen, neu gepflanzten Bananengarten bewässern und düngen. Eine Mahnung gab es aber auch hier: Nicht zu lange duschen. Pro Minute werden 7,5 Liter Wasser verbraucht.

 

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