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Berichte

Globalisierung von unten

Das Weltsozialforum 2005 in Porto Alegre

(von Martin Meggle, 3sat)

Angesichts der überwältigenden Solidarität, Hilfs- und Spendenbereitschaft der Menschen in Europa und anderen Teilen der Welt hat der Gedanke an die Möglichkeit einer anderen, humaneren und gerechteren Welt eine neue Aktualität und Brisanz bekommen. Eine andere Welt, das wünschen sich auch die Teilnehmer des Weltsozialforums, das vom 26. bis 31. Januar 2005 in Porto Alegre stattfindet. 2001 wurde es an diesem Ort als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos gegründet.

Das Weltsozialforum ist die Kultstätte der Globalisierungskritiker: Seit Mittwoch wird in Porto Alegre nachgedacht über eine andere, gerechtere Welt. Gilberto Gil, Popikone und Kulturminister Brasiliens, stimmt die Gemüter mit nostalgischen Liedern ein. "Eine andere Welt ist möglich" lautet das Motto des Forums. Es soll Solidarität und Selbstlosigkeit verheißen.

Spirituelle, Esoteriker, Aktivisten posieren auf dem Marktplatz im Zentrum: Warten auf die große Auftaktdemo. Globalisieren ist schon okay - aber nur von unten bitte, from below. Für Gleichberechtigung, Menschenrechte, Völkerverständigung und herrschaftsfreie Verhältnisse trommeln sie. Der Übergang zwischen Aktivismus und Karneval ist fließend. Über 200.000 sind aufmarschiert, mehr als je zuvor. Coca-Cola wird boykottiert, Bush diffamiert. Die Anwohner von Porto Alegre wissen oft nicht so recht, warum ausgerechnet ihre Stadt für Globalisierungskritiker so hip geworden ist.

Armut ist das dominante Thema

"Als das Weltsozialforum vor vier Jahren ins Leben gerufen wurde, war die Wirkung besonders stark, weil es in der internationalen Presse praktisch als die einzige offizielle Opposition gegen die Globalisierung wahrgenommen wurde. Das hat sich aber nach dem 11. September geändert", meint Ignacio Ramonet, Chefredakteur von "Le Monde Diplomatique". Die Armut in der Welt ist das dominante Thema. Einst nur Gegenveranstaltung zu Davos, ist es auch ein bisschen internationaler Think-Tank der Linken.

"Ein Vorschlag des Weltsozialforums beginnt sich in der internationalen Politik langsam durchzusetzen. Und zwar die Forderung nach einer internationalen Steuerabgabe, um die Armut und den Hunger der Dritten Welt zu bekämpfen", so Ramonet. "Vor ein paar Jahren schien diese Idee noch völlig utopisch zu sein. Heute macht sich Chirac für die internationale Steuer stark und Lula hat sich dafür in den Vereinten Nationen eingesetzt. Mehr als die Hälfte aller Länder der Erde wollen mit der Einführung dieser internationalen Steuer eine gerechtere und solidarischere Welt schaffen."

Mammutprogramm in Porto Alegre

Chaotische Zustände nicht nur auf den Straßen: Porto Alegre steht Kopf. Das Weltsozialforum ist eine Massenveranstaltung, die logistisch kaum mehr zu bewältigen ist. 6500 Organisationen aus 135 Ländern richten hier in sechs Tagen über 2500 Veranstaltungen, Konferenzen und Seminare aus - ein Mammutprogramm. Die Effizienz des Forums steht mehr denn je in Frage. Jede Stimme soll gehört werden. In der Masse drohen wichtige Fragen unterzugehen.

"Wir Afrikaner richten hier ganz klare Botschaften an die Welt. Wir wollen einen bedingungslosen Schuldenerlass, um endlich die Armut bekämpfen zu können", sagt Jack Jones Zulu, vom "Jubilee" NGO, Zambia. "Um uns zu entwickeln, brauchen wir aber auch faire Handelsbeziehungen auf globaler Ebene."

Immer wieder steht der neoliberale Kapitalismus am Pranger, auch wenn man oft nicht weiß, was man gegen seine Übermacht konkret unternehmen will.

Der einstige Star Lula

2003 war Brasiliens Präsident Lula in Porto Allegre der absolute Star. Mit seiner sozialistischen Arbeiterpartei hat er das Weltsozialforum entscheidend mitgeprägt. Unter den Staatschefs ist Lula wohl der prominenteste Globalisierungskritiker. Bei den Wirtschaftsbossen in Davos hat er sich schon mehrfach für die Belange des Weltsozialforums stark gemacht. Doch seine Popularität sinkt. Die Hilfen, die er der hungernden Bevölkerung seines Landes versprochen hat, kamen bei den Betroffenen oft nicht an.

Vor dem Stadion skandieren sie "Lula – du Verräter!" Die Linke Brasiliens ist gespalten. Aber auch die Linke auf dem Weltsozialforum, die sich weder auf utopische, noch auf pragmatische Positionen zu einigen vermag.

Helfen - aber wie?

Es wird viel verkündet und theoretisiert bei Temperaturen bis zu 40 Grad. Doch es gibt kein verbindliches Aktionsprogramm. An allen Ecken schießen Komitees aus dem Boden, Manifeste werden unterzeichnet, die die Erhöhung der Entwicklungshilfe oder einen Schuldenerlass für arme Länder fordern. "Die elf Staaten, die vom Tsunami betroffen sind, mussten allein im letzten Jahr 38 Milliarden Dollar für ihre Auslandsschulden bezahlen", so Eric Toussaint, Mitglied im Internationaler Rat WSF und Direktor des Kommitees zur Streichung der Schulden der Dritten Welt. "Jetzt sind gerade mal acht bis zehn Milliarden Dollar gespendet worden. Das heißt, diese Staaten in Südasien haben letztes Jahr vier mal so viel Schulden abbezahlt als sie jetzt an Hilfe bekommen."

Helfen - aber wie? Darüber wurde bis heute in Porto Alegre ebenso leidenschaftlich gestritten wie über den Sinn und Zweck solcher Großveranstaltungen. Im nächsten Jahr wird parallel zu Davos erst einmal auf verschiedenen regionalen Foren überall auf der Welt weiterdiskutiert und gestritten. Und geträumt von der Verwirklichung einer gerechteren Zukunft. Die Globaliserungs-Kritiker spielen mit der Welt wie Kinder mit einem riesigen Luftballon und sehnen sich nach einer solidarischen Weltgemeinschaft.

Unterdessen versinkt nur wenige Kilometer vom Weltsozialforum entfernt die Welt im Abgrund. In den Favelas am Stadtrand ist von solidarischer Weltgemeinschaft nichts zu spüren. Ein Kind wurde gerade in Porto Alegre geboren - in einem Ortsteil, der offiziell Vila Libertade heißt, das Stadtviertel der Freiheit.

 

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