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Berichte

Weltsozialforum

Karneval für eine bessere Welt

(von Josef Oehrlein, Frankfurter Allgemeine Zeitung)

„Wasser für das Leben” steht auf seinem T-Shirt. In einem nach allen Seiten offenen Zelt doziert der Mann über das Wasser, hinter ihm glitzert im Nachmittagssonnenlicht ein See. Das „System” zerstöre die Vorkommen, sagt er. Das bißchen Wasser, das dereinst noch zur Verfügung stehe, werde kontaminiert sein. Keine Frage, wer daran schuld ist: die großen privaten Wasserversorgungsfirmen, die gewaltige Flächen kaufen, um die dort vorhandenen Vorkommen auszubeuten. Weil Wasser immer rarer werde, würden die Unternehmen immer reicher. So einfach ist das, so einfach läßt sich der „perversen Kreislauf” erklären.

„Wasser ist die Lösung”, ruft einen Steinwurf weiter ein junger dunkelhäutiger Brasilianer in die Menge. Sonst sagt er nichts, er hält weder einen Vortrag, noch will er irgendwelche Handzettel loswerden. Vor sich hat er eine Kühlbox stehen, in der liegen Plastikflaschen mit Mineralwasser. Wieder ein paar Meter weiter, kurz vor dem Zelt, in dem es um „Sozialkampf und demokratische Alternativen” geht, stinkt es fürchterlich. Dort muß man eine Brücke passieren, unter der ein Kanal eine dunkle Abwasserbrühe in den See leitet.

Ein Thema in unzähligen Varianten

Auf dem Weltsozialforum im südbrasilianischen Porto Alegre läßt sich auf engstem Raum ein einziges Thema in unzähligen Varianten erleben. Wenn es nur das Wasser wäre. Aber an vier Tagen ist alles willkommen, was auch nur annähernd mit sozialem Protest und dem Aufbegehren gegen bestehende Machtverhältnisse zu tun hat. Da gibt es den Nichtregierungsorganisationsrepräsentanten, der einen ausgefeilten Vortrag mit sekundengenau plazierten Powerpoint-Tafeln hält, da gibt es den unbeholfenen, aber glaubwürdig wirkenden Vertreter einer Indigenen- Gruppe, die sich irgendwo in den Anden gegen Behördenwillkür durchzusetzen versucht, und da ist der nüchterne, deshalb um so eindrucksvoller über die Frauenmorde in der mexikanischen Stadt Ciudad Juarez berichtende Angehörige eines Opfers.

Die Idee des uruguayischen Wissenschaftlers, das „Länderrisiko” nicht nur nach wirtschaftlichen Kriterien, sondern auch nach Umwelt- und Sozialgesichtspunkten zu errechnen, die Forderung nach Bekämpfung des Menschenhandels, der Protest gegen genmanipulierte Pflanzungen, der Wunsch, die Kinder von Indio-Familien in das Erziehungssystem ihrer Länder einzubeziehen - es fehlt nicht an Vorschlägen, die Welt im kleinen und großen zu verändern. Und vielleicht zu verbessern.

Das Stelldichein der Weltlinken

Die Entwicklung des Weltsozialforums ist den Initiatoren angesichts dieser Beliebigkeit längst entglitten. Denn das Demokratieverständnis, das der Veranstaltung zugrunde liegt, erlaubt es, daß jeder, der zu Wort kommen will, auch zu Wort kommt. Das Forum sei kein Programmparteitag, sondern ein „Prozeß”, sagt der bekannteste der Organisatoren, der Brasilianer Francisco (”Chico”) Whitacker. Ein Ergebnis ist weder angestrebt noch erwünscht, es gibt keine Deklaration, keine Zielvorgabe, keine Planerfüllung. Die Rückkehr des Forums aus dem indischen Bombay im vergangenen Jahr - nach drei, gemessen an den Teilnehmerzahlen, immer erfolgreicheren Treffen in Porto Alegre - hat eine Läuterung bewirkt, weil alles bescheidener und noch offener wurde.

Doch ist das Stelldichein der Weltlinken wieder so lateinamerikanisch geworden wie zuvor. Das ist von Vorteil, weil Ernsthaftes nicht übertrieben ernst genommen wird, es ist aber auch von Nachteil, weil die ernste Komponente vieler Dinge nicht erkannt wird. Der Eröffnungsabend, diesmal ohne Reden und Grußworte, dafür mit Trommlerchören und dem persönlich auf der Bühne rockenden Kulturminister Gilberto Gil, war Karneval. In Brasilien wird vieles schnell zu einem religiösen oder spiritistischen Ritual. Diese Komponente des Weltsozialforums hat sich offenbar in dem ähnlich in religiösen Sphären wurzelnden Indien verstärkt. Inbrünstig wird von fast allen Beteiligten bei jeder sich bietenden Gelegenheit gesagt, daß „eine andere Welt möglich ist”. Hunger und Armut seien ein vom Menschen verursachter „Tsunami”.

Die „andere Welt”

Auch die Mehrzahl jener deutschen Teilnehmer, die sich im Goethe-Institut von Porto Alegre zu einer vorbereitenden Versammlung treffen und sich im Zehn- Sekunden-Rhythmus vorstellen, wissen meist keinen besseren Grund für ihre Präsenz anzugeben, als daß sie auf der Suche nach jener „anderen Welt” seien. Bei der Gelegenheit kommt heraus, daß die Rosa-Luxemburg- Stiftung in Kompaniestärke angerückt ist. Allen nach Südbrasilien Angereisten geht es vor allem darum, sich mit ihresgleichen weltweit zu „vernetzen”.

Das wird durch den Umzug aus der Katholischen Universität in Zelte, Hütten und die alten Speicherhäuser am Guaiba-See und durch den Verzicht auf Großveranstaltungen begünstigt. Doch wer über das Forum-Terrain läuft, hört fast nur brasilianisches Portugiesisch, eher selten englische und spanische Laute. In der Masse der täglich 500 Einzelveranstaltungen spielen die Beiträge aus Asien und Afrika eine untergeordnete Rolle. Brasilien beschäftigt sich immer am liebsten mit sich selbst.

Reich an originellen Ideen

Es ist deshalb gut, daß der „Internationale Rat” des Forums beschlossen hat, wieder in die Welt hinauszuziehen, im nächsten Jahr dezentral an verschiedenen Orten gleichzeitig zu tagen und für 2007 auf jeden Fall nach Afrika zu gehen. Porto Alegre wird auf längere Sicht das Forum wohl nicht mehr wiedersehen. Das wurmt vor allem die Geschäftsleute und Hoteliers, weil für sie das Forum bisher ein nicht zu verachtendes Zubrot abwarf. Die Politiker sind nicht ganz so traurig darüber, weil die „Arbeiterpartei”, die dem Forum einst Geburtshilfe leistete, nicht mehr die Stadtregierung stellt. Schätzungsweise 130.000 Personen sind dieses Jahr gekommen - das Treffen droht längst an sich selbst zu ersticken.

Seine Hauptfunktion, die Gemeinde der Weltlinken im eigenen Glauben zu bestärken, ist geblieben. Die Zeit ist aber reif, daß das Weltsozialforum über seinen Schatten springt und den Kontakt zu dem einst heftig bekämpften Gegner im fernen Davos sucht. Auch in Davos hat inzwischen ein Umdenken begonnen, auch dort beschäftigt man sich inzwischen mit der Armut - allerdings mit dem Unterschied, daß die meisten Mächtigen der Welt glauben, die Probleme seien mit Geld allein zu lösen. Das Weltsozialforum hortet hingegen ein ganz anderes, ebenfalls wichtiges Kapital: Es verfügt über einen beträchtlichen Reichtum an originellen Ideen.

 

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