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Berichte

Weltsozialforum

Einpeitscher und Chefideologe

(von Josef Oehrlein, Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Das hatte dem Weltsozialforum gefehlt: eine Figur, die Einpeitscher, Entertainer, Chefideologe und Projektplaner in einem ist. Am vorletzten Tag des Treffens war sie gefunden. Es ist der venezolanische Präsident Hugo Chávez, der sich des Forums bemächtigte, aber auch auf nahezu einhellige Gegenliebe stieß.

Mußte er sich vor zwei Jahren noch mit einem Auftritt am Rande der Veranstaltungen begnügen, weil er nicht eingeladen war, beherrschte er diesmal mit einem geschickt inszenierten Spektakel das gesamte Forum. Am Vormittag besuchte er ein Landlosenlager in der weiteren Umgebung von Porto Alegre, am Nachmittag gab er eine Pressekonferenz, und am Abend veranstaltete er in einem Stadion von Porto Alegre eine Chávez-Show mit zweistündiger Rede-Einlage.

„Krieg gegen den Großgrundbesitz”

Alle drei Akte des Schauspiels gaben ihm reichlich Gelegenheit, alle seine „revolutionären” Thesen und Pläne vorzustellen, so deutlich und ungeschminkt wie vor kaum einem anderen Publikum. Sein Spruch „Wer behauptet, der Sozialismus ist tot, hat hier den Beweis, daß er nicht mit der Sowjetunion gestorben ist” war die Morgengabe an seine Gefolgschaft im Landlosenlager.

Chávez berichtete, daß er in Venezuela eine neue Phase in seinem „Krieg gegen den Großgrundbesitz” begonnen habe, drei Millionen Hektar privates Land enteignen und armen Bauern übergeben werde. Er dozierte, sang, schrie, salbaderte und beschwor historische und aktuelle, fromme und weniger fromme Gestalten der Geschichte, mit denen er sich gern vergleicht, von Jesus über Charles de Gaulle bis zu Gaddafi, am liebsten aber doch mit Simón Bolívar, Che Guevara, Fidel Castro und - das ist das neueste - mit dem einstigen argentinischen Präsidenten Perón.

„Verfault von innen.”

Sorgsam hatte Chávez Regie geführt. Bei der „Pressekonferenz” waren nur fünf Fragen von Stichwortgebern zugelassen, vier von Journalisten der sogenannten alternativen Medien und eine von der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina. Die Chávez-Reden gipfelten in immer neuen Attacken auf „Kapitalismus”, „Neoliberalismus” und Nordamerika. Wenn er sich mit seinen antiamerikanischen Tiraden in Rage geredet hatte, wagte er Prophezeiungen: „Das Reich der Vereinigten Staaten ist bald am Ende, verfault von innen.”

Rettung könnten nur der Sozialismus bringen und eine Weltrevolution, die Chávez als „antineoliberale und antihegemoniale Weltverschwörung” rühmte. Außerdem hat er vorgesorgt: Das venezolanische Militär sei über das „bolivarische” zivil-militärische Gesellschaftsmodell bestens gegen jede Art äußerer Aggression gewappnet, notfalls sei die Hilfe Kubas sicher, das umgekehrt auch auf Unterstützung aus Venezuela rechnen könne.

Der Held des Forums

Im Stadion wurde Chávez am Ende zum Helden des Forums ausgerufen. Doch das war nur einer von vielen Widersprüchen, die für das Treffen charakteristisch sind. Denn eigentlich sind Leitfiguren, Berühmtheiten oder Alleindarsteller unerwünscht. Aber offenbar braucht das Forum gerade solche Persönlichkeiten, um überleben zu können. Vorschläge, mit Andersdenkenden in Kontakt zu treten, sie zumindest anzuhören und so eine Art Streitkultur zu praktizieren, stoßen in Porto Alegre weitgehend auf Unverständnis.

Der vom brasilianischen Präsidenten Lula da Silva abermals unternommene Anlauf, das Treffen in Brasilien und das Weltwirtschaftsforum in Davos einander anzunähern, wurde von größeren Teilen des Forums brüsk zurückgewiesen. Ein Dialog zwischen beiden Foren diene nur dazu, das Image des Treffens der Mächtigen in Davos aufzubessern, wird geargwöhnt. Lulas von heftigen Protesten begleiteter Auftritt in Porto Alegre, den rhetorisches Ungeschick bisweilen auch peinlich machte, war nach dem Chávez-Schaustück ohnehin längst vergessen.

Das Weltsozialforum hält an dem Prinzip fest, nicht konsensfähig zu sein. Eine gemeinsame Abschlußerklärung gibt es darum nicht. Ein oder zwei Mitglieder des Organisationskomitees haben dennoch ein Papier erarbeitet, Vorschläge für möglicherweise doch konsensfähige Beschlußvorlagen für das Forum. Die originellste Idee bestand darin, den Vereinten Nationen zu raten, wegen der Reibereien mit den Vereinigten Staaten aus New York in eine Stadt in der Südhemisphäre umzuziehen. Außerdem propagierten sie, die Steuerparadiese zu schließen.

 

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