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Berichte

Andere Welt, anderes Geld

Während die Europäer beim Weltsozialforum über Theorien diskutieren wollten, interessierten sich die Lateinamerikaner mehr für die Praxis der sozialen Bewegungen

(von Astrid Schäfers, Jungle World)

Einige Mitglieder der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) nutzten das Weltsozialforum, um ihren Austritt zu verkünden, und Kongressmitglieder des linken Flügels der PT verteilten die Carta aos petistas, den Brief an Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva und die PT-Führung, in dem sie ein neues Wirtschafts- und Politikmodell einfordern. Manche nutzten auch den Auftritt Lulas in Porto Alegre am Donnerstag der vergangenen Woche, um heftig gegen den Präsidenten zu protestieren.

Bei den meisten linken Kritikern ist die Distanz zur brasilianischen Regierung jedoch so groß geworden, dass sie den Auftritt Lulas ignorierten und die Zeit lieber für Debatten über die Stärkung der sozialen Bewegungen nutzten. Nur etwa 15 000 Menschen lauschten der Rede des Präsidenten, vor zwei Jahren waren es mehr als 70 000.

Auch das fünfte Weltsozialforum steht unter dem Motto »Eine andere Welt ist möglich«. Bei fast 40 Grad diskutieren Vertreter von NGO, Gewerkschaften und verschiedenen sozialen Bewegungen in Porto Algere fleißig über die traditionellen Themen der »Weltlinken« wie Verschuldung, Biodiversität und die Kontrolle der Finanzmärkte, aber auch über Fundamentalismus, Unilateralismus und Imperialismus.

Während die von europäischen Linken organisierten Workshops eher die Konstruktion einer »anderen Welt« auf einer abstrakten und theoretischen Ebene behandeln, findet man die Lateinamerikaner eher in Arbeitskreisen, die nach konkreten Konzepten zur Verbesserung der Lebenssituation marginalisierter Bevölkerungsgruppen suchen. So wird über die Schaffung von Arbeitsplätzen und Einkommensmöglichkeiten durch die Unterstützung von Initiativen der »solidarischen Ökonomie« und über das Konzept des partizipativen Budgets diskutiert, das den Bürgern auf lokaler Ebene direkte Mitspracherechte bei der Verteilung der Haushaltsmittel geben soll. Viele hoffen, mit solchen Mitteln einen vom kapitalistischen Wirtschaftssystem unabhängigen Raum erkämpfen zu können.

Workshops mit allgemeineren Themen präsentieren häufig recht schlichte Muster der Welterklärung, und wenn es um den Krieg im Irak geht, dominiert der in Lateinamerika sehr verbreitete Antiamerikanismus. »Ich möchte hier noch mal sagen, dass die im Irak gestorbenen amerikanischen Soldaten den Tod verdient haben«, verkündete ein Vertreter der brasilianischen Sozialistischen Partei Vereinigter Arbeiter. Auch der Versuch John Holloways, die Ansichten der TeilnehmerInnen des Forums zu einem gemeinsamen »Nein« zu Krieg und Kapitalismus zu vereinen, erweist sich als wenig hilfreich bei der Entwicklung politischer Strategien.

Für die meisten ist klar, dass eine gerechtere Gesellschaft nur durch die emanzipatorische Kraft der sozialen Bewegungen erkämpft werden kann. Viele fordern, dass der Staat sie in dieser Funktion unterstützen soll. Die Teilnehmer des Forums und des parallel stattfindenden Interkontinentalen Jugendcamps solidarisieren und identifizieren sich teilweise mit sozialen Bewegungen wie dem MST, einer Organisation der Landlosen in Brasilien, den Zapatistas in Mexiko oder der Arbeitslosenbewegung der Piqueteros in Argentinien.

Das Interkontinentale Jugendcamp hatte sich zum Ziel gesetzt, Selbstverwaltung und eine hierarchiefreie Organisation zu praktizieren. In den Kommissionen sollen alle TeilnehmerInnen Verantwortlichkeiten übernehmen können, alle Entscheidungen sollen im Konsens getroffen werden, und alle Räume wurden von den CampteilnehmerInnen selbst aus Bambus und Lehm konstruiert.

Doch nicht alle Ziele ließen sich realisieren, denn das Camp platzte bereits am ersten Tag aus allen Nähten. Die Organisatoren des Forums informierten die OrganisatorInnen des Camps erst zwei Tage vor dessen Eröffnung darüber, dass sich zusätzlich zu den erwarteten 11 000 TeilnehmerInnen weitere 20 000 angemeldet hatten. Angesichts der mangelnden Finanzierungsbereitschaft der konservativen Stadtregierung erwiesen sich die von den OrganisatorInnen entwickelten Strukturen im Parque de Harmonia, direkt am verschmutzten Fluss Guaíba gelegen, als eindeutig unzureichend.

Auch die »solidarische Ökonomie« konnte sich im Camp nicht wirklich etablieren. Der offene Raum des Camps hat sich als Paradies für Kleinhändler erwiesen, die einfach nur etwas verkaufen wollten. Nur wenige konnten für die eigens für das Camp geschaffene Währung, Txai (»Die Hälfte von mir in dir« in der Sprache der Kaxinawa, eines Indianerstamms aus dem Amazonas) gewonnen werden, die sich die Camporganisationen für ihre »andere Welt« ausgedacht hatten. Zu groß war die Angst, durch den Erwerb des mit indianischen Zeichen bedruckten Papiergeldes Verluste zu machen.

Das Camp zieht eine breite, sehr vielfältige Masse aus Touristen, Aktivisten, Angehörigen von Minderheiten und Neugierigen an, von der lokalen HipHop-Community über die Bewegung, die sich für freie Software einsetzt, und die kleinen Radiomacher bis zu diversen Künstlerbewegungen und Spaßtouristen, Kleinkriminellen und Straßenkindern. Die Künstlerinnenbewegung der »Orangen« wendet sich gegen vom Markt und von den Medien diktierte kommerzialisierte Formen der Kunst: »Ich möchte in meiner Arbeit nicht davon abhängig sein, dass irgendein Konzern oder eine Bank meine Ausstellung finanziert«, erklärt Kris.

Das für die Erprobung einer alternativen, unhierarchischen und gerechteren Welt geschaffene Camp wurde so auch mit der Realität eines Landes konfrontiert, in dem ein großer Teil der Bevölkerung keinen Zugang zu Bildung, Kunst oder politischen Theorien hat. Menschen, die auf jede Verdienstmöglichkeit angewiesen sind, haben wenig Verständnis für die Erfordernisse einer »solidarischen Ökonomie«. Doch ungeachtet aller Widersprüche und der häufig oberflächlichen Kritik bieten Forum und Camp einen Raum für die Debatten zahlreicher Initiativen, die auf alternative Lebenskonzepte hinarbeiten und nach anderen als den vorherrschenden Werten leben wollen.

»Man müsste in Porto Alegre eine Struktur neu erfinden, die keine Nichtregierungsorganisation ist«, fordert der portugiesische Schriftsteller José Saramago. Viele AktivistInnen haben auf den wachsenden Einfluss staatsnaher NGO und die Profilierungsversuche sozialdemokratischer Politiker beim WSF eine pragmatische Antwort gefunden. Sie organisieren ihre eigenen Debatten. In Porto Alegre, wo eine andere Welt möglich gemacht werden soll, treffen mehrere Welten aufeinander.

 

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