Berichte
Keine Party mit Soldaten
Weltsozialforum in Caracas endet am Sonntag. Bedeutende Strategiedebatten bestimmten das Treffen, aber auch organisatorische Probleme
(von Andreas Behn, Caracas (npl, junge Welt
Viele begeisterte Teilnehmer und konstruktive Debatten, aber auch
Streit und eine chaotische Organisation prägen dieses sechste
Weltsozialforum (WSF), dessen 2. Teil am Sonntag in Caracas endet. Das
Treffen der sozialen und globalisierungskritischen Bewegungen findet in
diesem Jahr an drei verschiedenen Orten statt, neben Venezuela in
Bamako (Mali) und Karatschi (Pakistan). 2007 wird es in Kenia wieder
ein gemeinsames Weltsozialforum geben.
In Caracas merkt man, daß es bereits das sechste Treffen dieser Art
ist. Viele Aktivisten kennen sich und zahlreiche Organisationen können
schon auf einige Jahre Zusammenarbeit zurückblicken. Zugleich macht
sich eine gewisse Forums-»Müdigkeit« bemerkbar. Foren mit immer
gleichen Themen und Mammutveranstaltungen mit langen, ermüdenden Reden
erregen in Caracas den Unmut der Teilnehmer. Auch dadurch wird die
Debatte um die Zukunft des Forums angeheizt. Ein Teil der Gäste beharrt
darauf, künftig konkrete politische Alternativen und Strategien zu
erarbeiten. Die Präsenz von Parteien und Regierungsvertretern wird von
diesen Teilnehmern nicht als Manko, sondern als Chance zur Einflußnahme
gesehen. Ihre Widersacher befürchten durch diesen Vorstoß jedoch das
Ende des WSF in seiner jetzigen Form. Der Austausch der sozialen
Bewegungen, sagen sie, sei nicht nur Mittel zum Zweck. Mit wenig
Verständnis begegnen diese »Traditionalisten« der unübersehbaren
Präsenz von Regierungen. Denn während bei früheren Foren in Porto
Alegre die roten Fahnen der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) das
Bild bestimmten, trifft man in Caracas allerorten auf das Konterfei von
Präsident Hugo Chávez. Die Veranstalter nehmen eine pragmatische
Position ein. Kein Treffen dieser Größenordnung sei ohne Hilfe der
jeweiligen Regierung zu bewerkstelligen.
Auf breitere Kritik stößt hingegen die allgegenwärtige Präsenz des
Militärs. Soldaten patrouillieren in Caracas nicht nur in den Straßen
rund um die Veranstaltungsorte. Die Treffen finden zum Teil in
Militäreinrichtungen statt. Eine Partystimmung wie in Porto Allegre
werde dadurch und durch die dezentrale Ausrichtung des Forums
verhindert, beklagen einige Teilnehmer.
Die thematische Vielfalt der rund 2000 Veranstaltungen kann derweil
kaum breiter sein. Der Protest gegen den Irak-Krieg in den USA und die
Situation in Nahost finden ebenso Zulauf wie
Gewerkschaftsveranstaltungen, Bündnistreffen gegen den neoliberalen
Freihandel, Workshops zur Organisierung von Prostituierten, Aktivitäten
der Schwarzenbewegung oder Tourismusprojekte im Amazonasgebiet. Überall
spitzen sich die Debatten auf einen Punkt zu: Die Wahl von immer mehr
linken oder zumindest nicht reaktionären Regierungen in Lateinamerika,
zuletzt der überraschend klare Wahlerfolg von Evo Morales und seiner
Bewegung zum Sozialismus in Bolivien. Auf dieses neue politische
Panorama, diese Meinung herrscht über die Lager hinweg vor, müssten
auch die sozialen Bewegungen des Kontinents reagieren. Die möglichen
Schlußfolgerungen werden aber heiß diskutiert. Soll man weniger auf
Protest und mehr auf konstruktive Mitarbeit setzen? Muß der eigene
Standpunkt gegenüber diesen Regierungen neu definiert werden? Oder hat
sich gar nichts geändert? Letztere Meinung vertreten vor allem
Aktivisten aus Brasilien, die von der PT-Regierung von Luiz Inácio
»Lula« da Silva offensichtlich enttäuscht sind.
In Caracas wird es hierzu wohl auch nach diesem Sonntag keine
eindeutigen Antworten geben. Zumal ein inhaltlicher und strategischer
Neubeginn durch den Enthusiasmus behindert wird, der vor allem unter
lateinamerikanischen Aktivisten vorherrscht. Mit Hugo Chávez, Evo
Morales und »Lula« werde man gegen die US-Regierung schon ankommen,
heißt es dort nicht als unbekannte Bewegung, sondern mit der Macht von
Staaten und Regierungen im Rücken. Ohnehin ist diese Orientierung auf
Regierungen ein neuer Trend, der aber nicht ohne Risiko bleibt.
Immerhin bezogen sich einige Teilnehmer in Caracas auch positiv auf den
peruanischen Präsidentschaftskandidaten Ollanta Humalla. Doch der tut
sich neben globalisierungskritischen Phrasen in erster Linie mit
nationalistischer Hetze gegen den Nachbarstaat Chile hervor.
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