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Berichte

Weltsozialforum zwischen den Stühlen

Im Zentrum stand das Verhältnis zwischen sozialen Bewegungen und linken Regierungen in Lateinamerika

(von WOLF-DIETER VOGEL, die tageszeitung)

Jahrmarkt der Zivilgesellschaft oder Ausgangspunkt weltweiter Kampagnen? Die Frage, welchen Weg das Weltsozialforum (WSF) in Zukunft gehen wird, stand im Zentrum vieler Debatten auf dem lateinamerikanischen Teil des IV. WSF, das gestern in Caracas zu Ende ging. Und ausgerechnet der Staatschef des Gastgeberlands Venezuela Hugo Chávez gab eine eindeutige Vorgabe.

"Ein Forum, das nur debattiert und debattiert, ohne zu einer Konsequenz zu kommen, scheint mir seltsam", erklärte der Präsident am Freitag vor gut 4.000 begeisterten Zuschauern im Sportstadion Poliedo. Angesichts der zerstörerischen Kraft des Kapitalismus müsse das Forum eine "alternative, antiimperialistische Bewegung für den Sozialismus" aufbauen, so Chávez in einer Kundgebung, die an die besten Zeiten seines kubanischen Kollegen Fidel Castro erinnerte. Präsident George W. Bush sei "der größte Terrorist in der Welt", fuhr Chávez fort.

Die bolivarianische Revolution steht bei vielen WSF-Teilnehmern hoch im Kurs. Schließlich setzt die Chávez-Regierung Sozialprogramme um, die den Forderungen der sozialen Bewegung nahe stehen. Dennoch kam die starke Präsenz der venezolanischen Regierung auf dem Weltsozialforum nicht bei allen Teilnehmern gut an. Während staatliche Vertreter bei früheren Sozialforen meist außen vor blieben, stellten venezolanische Regierungsrepräsentanten in diesem Jahr viele Redner.

Bei manchem Aktivisten stieß zudem die unübersehbare Anwesenheit des Militärs auf Unmut. "Warum ging die Auftaktdemonstration an den ausgemusterten und zur Schau gestellten Tanks der venezolanischen Armee vorbei? Das ist nicht unser Verständnis von Antimilitarismus", kritisierte etwa Adrian Bosmalkom, ein junger Mann, der sich auf dem Jugendcamp "Weltstadt" niedergelassen hat. Auch der diesjährige WSF-Koordinator Jacobo Torres de León räumte ein, es habe Anzeichen dafür gegeben habe, dass das Treffen zu einem "chavistischen Forum" werde. "Letztlich ist der Verlauf des Treffens jedoch der Beweis dafür, dass wir absolut autonom agiert haben", erklärte Torres der taz.

Die Frage des Verhältnisses sozialer Bewegungen zu linken Regierungen spielte nicht nur mit Blick auf Venezuela eine wichtige Rolle, schließlich konnten in den letzten Jahren viele linke Politiker in Lateinamerika mit Hilfe starker Basisorganisationen Wahlsiege erringen. So zuletzt der Bolivianer Evo Morales, dessen Name bei vielen der größeren Veranstaltungen erwähnt wurde. Für Gonzalo Berón vom lateinamerikaweiten Bündnis sozialer Bewegungen Alianza Social Continental (ASC) ist diese Linkswende eine Herausforderung für die Bewegung. "Nach den Neunzigerjahren des Neoliberalismus müssen wir die Chance nutzen, mit Regierungen in den Dialog zu treten, die uns den Rücken stärken können", so der ASC-Sprecher gegenüber der taz. WSF-Koordinator Torres hält es sogar für notwendig, Politiker wie Morales oder Brasiliens Präsident Inacio Lula da Silva aktiv in den Wahlen zu unterstützen.

Kritik an dieser Haltung ging meist einher mit der Befürchtung, das Forum werde vereinnahmt und auf eine politische Linie festgelegt. Das Weltsozialforum sei nie staatlich orientiert gewesen, erklärte etwa Mitgründer Cándido Grzybowski auf einer Podiumsveranstaltung zur Zukunft des Forums. "Wir suchen die Differenz, denn die ist ein wichtiger Wert unserer Bewegung." Andere klagten dagegen ein, dass sich das Weltsozialforum stärker darauf konzentrieren müsse, gemeinsame politische Strategien zu erarbeiten und Kampagnen wie 2003 die Mobilisierung gegen den Irakkrieg zu organisieren. Sonst drohe das Weltsozialforum konturlos zu werden und zu einer "Messe der Bürgerinitiativen" zu verkommen, kritisierte Le-Monde-diplomatique-Herausgeber Ignacio Ramonet.

Dass sich Chávez für diese pragmatische Linie stark machte, verweist auf die Nähe dieser "realpolitischen" Position zu den linken Regierungen Lateinamerikas. Eine gemeinsame Haltung in dieser Frage ist nicht zu erwarten. Schließlich wollte man sich in den letzten Jahren nicht einmal auf eine gemeinsame Abschlusserklärung festlegen.

Einiger zeigten sich die Teilnehmer des Forums in inhaltlichen Fragen. Bereits auf der Auftaktdemonstration brachten etwa 60.000 Demonstranten ihre Ablehnung des Irakkriegs zum Ausdruck. Großen Beifall für ihren Einsatz gegen den Krieg erhielt die US-amerikanische Aktivistin Cindy Sheehan, deren Sohn im Irak gefallen ist. Bauernverbände wie Via Campesina machten sich einmal mehr für Agrarreformen stark. Verhältnismäßig viele Veranstaltungen beschäftigten sich mit freien Radiosendern und anderen Kommunikationsprojekten.

Verteilt auf zehn Orte im gesamten Stadtgebiet von Caracas beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter rund 80.000 Menschen an den etwa 2.000 Plena, Foren, Workshops - und den rund 500 Konzerten, Festen und Happenings auf der Straße. Schließlich sei das Forum, so die holländische Malerin Michelle Meulenbelt, "die beste Kombination zwischen Musik, Rumziehen und politischer Diskussion".

 

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