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Berichte

»Basisbewegung noch keine reale Machtalternative«

Von der Stadtguerilla zur Selbstverwaltung? Antiimperialistische Gegenentwürfe beim Weltsozialforum in Caracas. Ein Gespräch mit Gernot Bodner

( Interview von Harald Neuber, junge welt)

F: Sie haben mit anderen parallel zum Sozialforum ein antiimperialistisches Forum in Caracas organisiert. Weshalb?

Es gab drei Gründe für dieses gemeinsame »Campamento Internacional Bolivariano« der Bauernfront Ezequiel Zamora, der Volkskoordination von Caracas und des Kollektivs »Alexis Vive«, das wir unterstützen. Erstens wird in den Basisbewegungen kritisiert, daß die internationalen Foren nicht dort stattfinden, wo das Volk lebt und kämpft, sondern zumeist in noblen Konferenzsälen. Zweitens geht das politische Profil des »Campamento« über das Sozialforum hinaus, indem es sich auf die Seite der Widerstandsbewegungen stellt, auch der bewaffneten, und den neuen Mitte-Links-Regierungen kritisch gegenübersteht. Und drittens ist es auf den Festivals der Antiglobalisierungsbewegung kaum möglich, eine koordinierte Politik zu erarbeiten.

F: Das Forum fand im Viertel »23. Januar« statt, einem Ort der Stadtguerilla. Hat diese Geschichte noch eine Bedeutung?

Die Gruppen, die früher ein Konzept der Stadtguerilla verfolgten, sind mit der Regierung Chávez verschwunden. Heute spielen diese Organisationen aber eine Rolle in der Selbstverwaltung des 500000-Einwohner-Stadtteils. So zum Beispiel das Kollektiv »Alexis Vive«. Diese sehr junge Organisation regelt das Leben in einem Teil des Viertels. Sie stellt mit anderen Milizen gegen die Kriminalität auf und organisiert freiwillige Arbeitseinsätze zur Verbesserung der Lebensbedingungen.

F: Welchen Eindruck haben Sie von den Basisbewegungen in Venezuela? Welche Rolle spielen sie heute?

Das wesentliche Problem ist, daß die Basisbewegungen immer noch sehr regional oder lokal begrenzt sind und keinen gemeinsamen politischen Rahmen haben, um sich als reale Machtalternative präsentieren zu können. Und Chávez wird sich so lange nicht der reformistischen Bürokratie entledigen, solange die Volksbewegung nicht stark genug ist, potentiell eine neue Form des Staates zu konstituieren. Die Diskussion über den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« als Perspektive für das Land könnte aber die Gemeinsamkeit der Basisbewegung stärken.

F: Aber diese Debatte wurde doch von oben, von der Regierung, begonnen.

Genau darin liegt das Dilemma des bolivarianischen Prozesses. Präsident Chávez lanciert richtungsweisende Initiativen, etwa die Bildung von Volksmilizen für eine integrale Landesverteidigung, die Bekämpfung der Bürokratie oder den Übergang zu einem neuen Sozialismus. Doch das bleiben Appelle, die von den staatlichen Organen nicht umgesetzt werden. Es ist auch kaum zu erwarten, daß die Staatsbürokratie ihre eigene Auflösung in einer partizipativen Volksdemokratie betreibt.

F: Spiegelt sich die eher theoretische Debatte denn in der politischen Realität wider?

Auf jeden Fall. Im Vergleich zu unserem letzten Besuch vor einem Jahr ist die Losung des Sozialismus überall präsent. Vor allem die organisierte bolivarianische Volksbewegung greift sie auf. Doch der alte Staat ist sehr stabil, auch aufgrund des Erdölreichtums des Landes. Ansätze der Volksdemokratie sind bisher regionale Experimente in einzelnen Gemeinden, Landkooperativen und organisierten Stadtvierteln.

F: Werden Ihrer Ansicht nach die USA mit allen Mitteln versuchen, die Wiederwahl von Chávez zu verhindern?

Auch die USA müssen, trotz des neokonservativen Fanatismus, Kräfteverhältnisse einkalkulieren. Eine direkte Intervention ist unserer Ansicht nach derzeit ausgeschlossen, es wäre militärisch zu riskant und politisch in der derzeitigen lateinamerikanischen Konstellation nicht leistbar. Das dafür notwendige Bild der Instabilität und Unregierbarkeit, das die Opposition provozieren wollte, ist nicht vorhanden. Viele Linke hier halten zwei Optionen für möglich. Einerseits den paramilitärischen Weg der punktuellen Destabilisierung durch Sabotageakte bis hin zum Mord an Chávez, andererseits den Versuch, die moderaten, reformistischen Gruppen in der Bewegung 5. Republik zu gewinnen. Das »Campamento« versucht, sich auf beide Varianten vorzubereiten.

(Gernot Bodner gehört zur antiimperialistischen Koordination Wien)

 

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