zur Startseite
Das deutschsprachige Informationsportal
zur weltweiten Sozialforum-Bewegung
zur Startseite zur Startseite
| Aktuell  | Termine  | Links  | Forum  | Feedback  | Newsletter  | Suche: 
 
Schnell-Info
zurück zur Startseite

Berichte

„Was ist heute links?“

Der 1. Tag auf dem WSF in Nairobi

(von Klaus Lederer)


Angekommen. Für die große Auftaktveranstaltung und -demonstration nicht rechtzeitig genug, wohl aber für den ersten regulären Tag des Weltsozialforums. Am Vormittag erreichten wir das 17 km vom Stadtzentrum Nairobis entfernt gelegene Internationale Sportzentrum Kenias, welches nach dem früheren Präsidenten Daniel arap-Moi benannt ist. Zur Bilderstürmerei neigt man hier nicht, auch eine zentrale Straße trägt noch dessen Namen. Arap-Moi ist inzwischen von Präsident Kibaki abgelöst. Dessen Amtsübernahme wurde von den europäischen Staaten als Sieg gegen Despotentum und Korruption gefeiert. Kibakis Bild hängt nun überall, im Hotel, in den Geschäften, aber ein Taxifahrer erzählte mir, geändert habe sich für die vielen „einfachen, armen Menschen“ nicht viel. Das Programm des Sozialforums bekamen wir nach einiger Suche auch, noch gestern muss das sehr schwierig gewesen sein. Das Programm ähnelt dem Kursbuch der Deutschen Reichsbahn: dick, viele Informationen, aber es ist immer wieder ein Erlebnis, wenn die ausgewiesenen Veranstaltungen nach Zeit und Ort auch stattfinden. Aber das gehört zum WSF – ich kannte das schon aus Porto Alegre 2005…

 „Was ist heute links?“ ist der Titel der ersten Veranstaltung, die ich miterlebt habe. Ein internationales Podium diskutierte mit etwa 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Frage, welche theoretischen und praktischen Differenzen es zwischen „links“ und „rechts“ heute gibt. Angesichts der gegenwärtigen Ankündigung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez, eine sozialistische Einheitspartei zu gründen, angesichts der aktuellen Unterstützung der nicaraguanischen Sandinistas um Präsident Ortega, in dem mittelamerikanischen Land das Abtreibungsrecht zu verschärfen, angesichts aber auch der bitteren Erfahrungen des real existierenden Sozialismus wohl keine theoretische oder abstrakte Fragestellung.

Man könne es sich leicht machen, so die Autorin Daniela Dahn: Gut ist links und rechts ist böse.  Aber damit käme man nicht weit. In ihrem und den weiteren Beiträgen wurde dann auch recht deutlich, welche unterschiedlichen regionalen und politischen Zugänge es zum Begriff „links“ geben kann. Sozialistische Traditionen allein seien es jedenfalls nicht, so ein Redner aus Peru. Der südafrikanische Gewerkschafter und NGO-Engagierte Hassen Lorgat wird ihm später entgegnen, dass – bei allem Verständnis für die Differenzen – die Erfahrungen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung kaum über Bord geworfen werden dürfen. Autoritarismus versus Selbstorganisation, Staatsfixiertheit und Bewegungsorientierung, Feminismus versus traditionalistisches Verständnis, Wachstumsideologie und ökologische Politik, „kollektivistische“, auf nationale Besonderheiten abstellende Botschaften auf der einen Seite und individuelle Freiheitsrechte auf der anderen. Soll man „linke Regierungen“ in Lateinamerika unterstützen oder bekämpfen? Die Debatte machte deutlich, wie unterschiedlich das Verständnis linken Denkens und Handelns ist.

Die Autorin Hilary Wainwright startete ihren Beitrag bei Marxens Beschreibung einer menschlichen Gesellschaft der Zukunft als einer Gesellschaft, in der die freie Entfaltung des Einzelnen die Voraussetzung für die freie Entfaltung Aller ist. Das sei keine abstrakte Frage. Wie lässt sich das heut konkret organisieren? Vor allem ist es eine Frage des Wissens, der Kenntnisse – nicht der akkumulierten Faktenkenntnis, sondern des Denkens und Handelns in Zusammenhängen. Das gefiel mir. Hilary beschrieb, dass in einer Gesellschaft, die von Widersprüchen durchzogen ist, ein eindimensionales Verständnis linken Denkens und Handelns schlicht undenkbar ist. Ja! Der Austausch, die konkrete Kritik, das gemeinsame Handeln in Kooperation – lokal wie global – schließt sehr unterschiedliches Verständnis aus. Es kommt darauf an, es nicht selbstzerstörerisch zu betreiben, sondern produktiv zu machen. Dabei wird man sich nicht selig in den Armen liegen, sondern immer auch spannungsgeladene, von Differenzen und Widersprüchen durchzogene Auseinandersetzungs-, Lern- und Aktionsverhältnisse eingehen.

Die Stimmung hatte mit der des WSF 2005 viel gemein. Allerdings ist vom damals deutlichen Übergewicht lateinamerikanischer Teilnehmerinnen und Teilnehmer, lateinamerikanischer Themen, hier nicht mehr viel zu spüren. Die Übersetzungsprobleme sind die gleichen wie seinerzeit, aber man behilft sich solidarisch. Kleine Gruppen bilden sich, in denen die unterschiedlichen Sprachen synchronisiert und damit Kommunikation erst möglich gemacht werden. Gina aus Peru half uns beim Verstehen, indem sie die Beiträge aus „Portunol“ ins Englische übersetzte. Wir hockten dicht aufeinander und flüsterten uns zu. Diese Buntheit macht Spaß und schafft das WSF-Flair, das man so schnell nicht vergisst. Fällt das Mikrofon aus, wird aufgestanden und laut gesprochen. Was ist links heute? Ein guter Freund zitiert gern: links ist man nicht, links handelt man. Auf sehr einfache Weise ist das heut passiert – auf der „upper“ Empore des Gate 12 im Leichtathletik-Stadion des Sportkomplexes.

Manchmal muss man nach Afrika fliegen, um Freunde zu treffen, die man in Berlin nicht trifft. Jede und jeder kennt so etwas. Die Welt ist klein, heißt es dann immer. Ich traf einen Genossen aus Brandenburg. Wir haben in Deutschland schon gemeinsam „links gehandelt“. Er lebt derzeit in Johannesburg und ist ebenfalls nach Nairobi gekommen. Bei einigen dutzend Parallelveranstaltungen war das nicht so wahrscheinlich. Oder – angesichts des Titels – wiederum doch?

Ein guter Start ins diesjährige Weltsozialforum. Nur die Internetverbindungen sind nicht die stabilsten. So werde ich die Fotos zu diesem „Internet-Tagebuch“ wohl nachliefern müssen, wenn ich wieder zurück bin.  Schaut bei Gelegenheit vorbei!

(Klaus Lederer ist Vorsitzender der Linkspartei.PDS - Landesverband Berlin)

 

« zurück zur Übersicht