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Free Entry, free Water!

Der 3. Tag auf dem WSF in Nairobi

(von Klaus Lederer)

Morgendlicher Stau vor dem Moi Sportscomplex, das ist selbst in der rush hour eher ungewöhnlich außerhalb der City. Die letzten paar hundert Meter zum Eingang sind zu Fuß zurückzulegen. Der Grund: die Straße ist blockiert. Trommelnde, rufende Menschen lassen kein Auto vorbei, es gibt Diskussionen und Aufregung. Eine Straßenblockade vor dem Weltsozialforum??? Widerstand gegen ein symbolisches Event des Widerstandes??? Ja, ganz genau das. Vorerst war es nur das. Die Initiative „People´s Parliament“ aus Nairobi beließ es jedoch nicht dabei. Kaum eine halbe Stunde später drängte sie die Security an den Eingängen des Komplexes beiseite, stürmte auf das Gelände, kaperte das Organisationszentrum und meldete sich anschließend im Pressezentrum mit einer eigenen Pressekonferenz zu Wort.

Das Weltsozialforum ist ein offenes Forum. Die Offenheit hat jedoch ihre Grenzen. Wer dabei sein und mitdiskutieren will, muss einen Teilnahmebeitrag von etwa 7 US-$ entrichten. Auf dem Gelände agieren zu können, setzt voraus, sich das dort zu erwerbende Wasser für pro Flasche etwa einen halben US-$ leisten zu können. Auch die Kosten der Essensversorgung mögen für europäische Verhältnisse verträglich anmuten. Sie liegen jedoch mit etwa 4 bis 5 $ pro Essen weit über dem, was sich die meisten Kenianerinnen und Kenianer leisten können (siehe hierzu: Kenia: Fakten zur sozialen Lage). Dagegen richtete sich der Protest.

Das Sozialforum nehme für sich in Anspruch, die Lage der Ärmsten der Welt zu thematisieren. Was wirkliche Armut sei, wüssten jedoch die Wenigsten der angemeldeten 46.000 Menschen, die an den verschiedenen Diskussionsveranstaltungen teilnehmen, so die Initiative, getragen von Slumbewohnerinnen und -bewohnern. Am frühen Nachmittag dann eine Teilerfolgsmeldung: der Eintritt ist frei. Jede und jeder kann nun auf das Gelände. Das „Getränkemonopol“ ist damit de facto gebrochen. Die Zahl der erkennbar Armen wächst spürbar an und es entwickelt sich eine rege Mikroökonomie. Beteiligte sammeln für die solidarische Wasser-Umverteilung.

Die Finanzierung des Weltsozialforums sichern Beiträge größerer NGO´s. Anders als in Porto Alegre gibt es keinen Support durch Behörden und staatliche Institutionen. Keine Präsidialkasse kann entstehende Defizite ausgleichen. Deshalb wird das WSF 2007 teilkommerziell refinanziert. Natürlich ist auch ein Sozialforum nicht zum Nulltarif zu haben. Celtel („Making life better“), eine Kenianische Telekommunikationsgesellschaft, ist allpräsent. Kenya Airways („The pride of Africa“) gibt sich im Programm des Forums die Ehre, wenn auch nur mit dem eigenen Logo. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln ist konzessioniert. Das, so die Perspektive der Organisatorinnen und Organisatoren, sei der Preis, um es in Afrika überhaupt stattfinden lassen zu können. Dennoch ist hier ein Problem aufgeworfen, welches die organisatorische Leitung eines solchen Forums ernsthaft in die eigenen Überlegungen einbeziehen muss. Das Weltsozialforum kann nicht nur temporärer Netzwerkknoten sein, auf dem NGOs und Abgesandte sozialer Bewegungen miteinander kommunizieren. Es ist auch ein mediales Ereignis, ein Kulturevent, welches Aufmerksamkeit genießt und die Chance bietet, die Lage der Ärmsten der Armen auf unserem Planeten in den Mittelpunkt „öffentlichen Interesses“ zu rücken.

Hierfür müssen Lösungen gefunden werden, die beiden Aspekten Rechnung tragen. Und sie sind ja tatsächlich auch denkbar – und wie sich zeigt, teilweise zu realisieren: Heute lebte das Forum stärker auf, als es an den Vortagen je spürbar war. Die optimistische Prognose von 150.000 Mitwirkenden wurde längst nicht erreicht. Völlige Offenheit verändert auch den Charakter des Weltsozialforums. Wenngleich es eine Illusion ist, dass die vielen Kenianerinnen und Kenianer, die sich kaum über Wasser halten können, es als ihr politisches Sprachrohr begreifen und auch nutzen können.

Mein Erlebnis des Tages war der „Q-Point“, dazu sogleich. Auf dem Gelände des Stadions hatte sich gegen Mittag eine Demonstration der „Gay And Lesbian Coalition of Kenya“ formiert. Stolz, bunt und laut reklamierten sie die Aufmerksamkeit für sich. Wir liefen und riefen mit, die Stimmung war groß.  „We are queer, we are Lesbians, we are Gays, we are pride!“ Zum anschließenden Podium begab ich mich in das Zelt, welches innen schrill ausgestaltet war. Der QUEER-Point war Aufklärungs-, Veranstaltungs- und Kommunikationsort in einem. Hier fanden sich all diejenigen zusammen, die in der Stärkung und Vernetzung der homosexuellen und Transgender-Bewegung engagiert sind. Noch ist Südafrika das einzige Land des Kontinents, in dem Homosexualität nicht verfolgt und bestraft wird. In Afrika wird auch die Todesstrafe an Schwulen und Transsexuellen vollstreckt. Die Kenianische Community hat sich dem Austausch und der Vernetzung südamerikanischer, afrikanischer und indischer Queer-Movements verschrieben. Im Panel diskutierten je eine Vertreterin bzw. ein Vertreter mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern über Strategien der Stärkung homosexuellen Selbstbewusstseins, der Solidarität untereinander und des Kampfes um Gleichberechtigung und Anerkennung. „Sexuelle Selbstbestimmung ist die Kombination von Vergnügen und Politik“ meinte die indische Podiumsrednerin und verwies auf Erfolge durch Vernetzung mit der Frauen- und der Menschenrechtsbewegung im eigenen Land. Sexuelle Selbstbestimmung in fundamentalistischen Kontexten, Sexualität und soziale Rechte, sexuelle Verschiedenheit und Menschenrechte – so einige Titel von vielen Veranstaltungen, die die „Gay And Lesbian Coalition“ auf dem Forum organisiert hat.

Eigentlich wollte ich heut auch noch etwas über das allpräsente Thema HIV und AIDS schreiben. Dafür wird es jedoch nicht mehr reichen, aber vielleicht berichte ich morgen darüber – wenn nicht neue Ereignisse sich „davorschieben“. Nun, ein Tagebuch ist ein Tagebuch ist ein Tagebuch. Und kein Roman. Dabei soll es auch bleiben.


(Klaus Lederer ist Landesvorsitzender der Linkspartei.PDS Berlin)

 

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