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Berichte

Another World is possible – even for slum dwellers

Der 5. Tag auf dem WSF in Nairobi

(von Klaus Lederer)

Am heutigen Tag fand die Abschlussveranstaltung des diesjährigen Weltsozialforums im Uhuru-Park (Freiheitspark), direkt im Zentrum Nairobis, statt. Wir sind nicht weit entfernt davon untergebracht, in einem recht einfachen Hotel, welches auch die Kenianische Mittelklasse nutzt. So hätten wir nur wenige Minuten laufen müssen, aber es kam schließlich doch alles ganz anders. Denn am gestrigen Abend erfuhr ich im Gespräch mit Uli Brand aus unserer Delegation, dass für den heutigen Vormittag der Marsch der Hoffnung stattfinden würde. Diesen Marsch der Hoffnung haben die Kirchen in den Slums und das Kutoka-Network organisiert. In Kenia sind es, wie in vielen Teilen Afrikas, gerade auch und zum Teil sogar ausschließlich die Kirchen, die sich täglich um die soziale Lage der Menschen in den Slums kümmern und versuchen, sie zur politischen Aktivität zu bewegen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltsozialforums waren aufgerufen, sich einem Marathon durch die Slums anzuschließen. Der Begriff Marathon bezeichnete allerdings nicht die Geschwindigkeit, sondern die Länge des Marschs – 14 Kilometer, bis zur Abschlussveranstaltung im Uhuru-Park! Unter dem Slogan „Another World is possible – even for slum dwellers“ (Eine andere Welt ist möglich, auch für Slumbewohner) sollten sich die Aktivitäten des WSF zur sozialen Lage vieler Kenianerinnen und Kenianer in Beziehung setzen. Einerseits verbindet sich damit ein Signal an die Menschen in den Slums, andererseits an die Öffentlichkeit. Und schließlich: gibt es eine unmittelbarere Konfrontation mit der im Zentrum so nicht sichtbaren Realität Nairobis?

Im Südwesten Nairobis befindet sich das größte zusammenhängende Wellblechhüttengebiet Ostafrikas. Über eine Millionen Menschen leben hier unter schlechtesten Bedingungen in Hinblick auf Essen, Trink- und Abwasserversorgung, Wohnen und die weiteren menschlichen Bedürfnisse. Ausgangspunkt des Marathons war allerdings der Slum Korogocho. Von Korogocho aus, wo immerhin 120.000 Menschen leben müssen, ist die Silhouette des Moi Sports-Complexes zu sehen, wo noch gestern die zentralen Aktivitäten des WSF stattfanden.

Der Treffpunkt für den „Marathon“ befand sich mitten im ärmsten Teil von Korogocho, in der katholischen St. John´s Church. Der europäische Begriff von einer christlichen Gebetsstätte trägt hier allerdings nicht. Manche Kirche in den Slums ist lediglich ein Wellblechcontainer, der nur durch ein bescheidenes Kreuz oder die Aufschrift „Church“ überhaupt als solche zu erkennen ist. Glocken rufen hier niemanden zum Gottesdienst.

Die St. John´s gehört zu den gemauerten Kirchen. Sie befindet sich in einem Komplex mit einem kleinen Amphi-Theater und einem größeren Platz. Angeschlossen ist eine Schule, die aus drei geziegelten Gebäuden, nach europäischen Maßstäben vielleicht vergleichbar mit einer größeren Garage, besteht. Liebevoll hatte man gemeinsam mit den Kindern die Wände der Schulgebäude bemalt: mit mathematischen und geografischen Basics und den Flaggen der afrikanischen Staaten.

Zwei Stunden lang sammelten sich die Menschen, davon viele tatsächlich aus Korogocho. Einige Hundert kamen zusammen. Mit gelben Shirts waren die „Volunteers“ zu erkennen. Sie waren aus den Gemeinden und aus dem Slum. Diese organisatorischen Helferinnen und Helfer teilten für alle sehr einfach gehaltene, kreativ bedruckte weiße T-Shirts aus. Sie sollten uns untereinander und das Motiv des Marathons  zu erkennen geben sollten. Ich unterhielt mich mit einem von ihnen, Patrick Otele, der in der Schule der St. John´s als Unterrichtshelfer arbeitet. Dies fordert alles ab. 80 Kinder sitzen eng gedrängt in einem Klassenzimmer und erhalten dort grundlegendes Wissen. Dies ist die einzige Chance für ganz wenige von ihnen, jemals aus den Slums herauszukommen.

Gegen halb elf ging es los. Der Marsch „sickerte“ im kleinen Strom vom Platz. Was wir in den folgenden zweieinhalb Stunden erlebten, lässt sich in diesem Text nicht beschreiben. Es beanspruchte all unsere Sinnesorgane und unsere Emotionen auf das Äußerste. Die Menschen müssen buchstäblich auf dem und vom Müll leben, gemeinsam mit ihren Tieren und direkt neben, ja geradezu in der Kloake. Für mich war dieser Marsch sicherlich die am tiefsten gehende Erfahrung des diesjährigen Forums. Nur die Tatsache, dass wir alle miteinander gingen, machte sie erträglich. Die Freundlichkeit und Offenheit, das Interesse der mitlaufenden Menschen aus Korogocho an uns (!), all das hat mich sehr berührt.

An vier „Kontrollpunkten“ wurden wir von ihnen auf dem T-Shirt „gestempelt“ und motiviert, das Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren. Gegen vierzehn Uhr erreichten wir das, was ich von der Stadt bisher kannte, und nach weiteren eineinhalb Stunden waren wir im Uhuru-Park angekommen. Die Beine schmerzten inzwischen ziemlich und die Sonne brannte unerträglich. Mein Marathon- und Workshop-Genosse Romin und ich (Uli hatten wir unterwegs aus den Augen verloren) platzten mitten in die Rede von Danny Glover (Ja, genau, der freundliche, schlaue Slapstick-Bulle aus den Hollywood-Streifen. Wer weiß schon, dass Glover Menschenrechtsaktivist ist), der eindrücklich die internationale Herrschaft des Geldes und der sozialen Ungerechtigkeit anprangerte und den gemeinsamen Kampf aller beschwor.

Die Abschlussveranstaltung – das letzte Stück Weltsozialforum Nairobi/Kenia 2007 – geriet, trotz aller bewegenden Momente, damit ungeplant ein wenig zur Nebensache des heutigen Tages. Sicherlich, die musikalischen Aktionen – etwa eine an Raggae erinnernde Band aus Zimbabwe, Percussion und Flöte aus Tanzania und eine Gesangsgruppe aus Westsahara – ließen mich aufhorchen und mitwippen. Und auch ein Lied über den Kampf gegen AIDS, der Beitrag des früheren sambischen Präsidenten Kenneth Kaunda, war großartig. Trotzdem bereue ich in nichts, dass der heutige Tag so gänzlich anders verlief, als es ursprünglich geplant war. Mit diesen abschließenden Eindrücken werde ich morgen nach Berlin zurückfliegen.


(Klaus Lederer ist Vorsitzender der Linkspartei.PDS - Landesverband Berlin)

 

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