zur Startseite
Das deutschsprachige Informationsportal
zur weltweiten Sozialforum-Bewegung
zur Startseite zur Startseite
| Aktuell  | Termine  | Links  | Forum  | Feedback  | Newsletter  | Suche: 
 
Schnell-Info
zurück zur Startseite

Berichte

''Polit-Woodstock'' in Nairobi

Zehntausende Menschen haben in Nairobi gegen Auswüchse des Kapitalismus' und des Freihandels demonstriert. Das siebte Weltsozialforum will sich in der kenianischen Hauptstadt besonders mit den Problemen Afrikas auseinandersetzen. Seit 2001 findet es jährlich als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos statt. Eine Bilanz und ein Ausblick

(von Thomas Nachtigall, ARD-Studio Nairobi, tagesschau.de)

Als Vertreter der französichen Bürgerbewegung Attac mit ein paar brasilianischen Nicht-Regierungsorganisationen für den Jahresbeginn 2001 ein gemeinsames Camp verabredeten, erwarteten sie ein paar tausend Teilnehmer. Die globalisierungskritische Bewegung war jung. Sie hatte mit dem Sturm auf den WTO-Gipfel in Seattle zwar Medienaufmerksamkeit erlangt, doch es fehlte ein theoretischer Unterbau und ein Austausch des bunten Spektrums aus Gewerkschaftern, indianischen Kleinbauern, Kritikern der internationalen Finanzspekulation und kirchlich orientierten Dritte-Welt-Gruppen.

Ambitionierter Name als demonstrativer Gegenpol

Der Name des Treffens, das ins südbrasilianischen Porto Alegre einberufen wurde, war bewusst wenn auch ein bisschen hochtrabend gewählt: "Weltsozialforum" - als demonstartiver Gegenpol zum gleichzeitig stattfindenden Weltwirtschaftsforum in Davos. "Die Finanzspekulation kommandiert heute die Wirtschaft und das Leben der Bürger. Die Ökonomie muss wieder zum Diener der Gesellschaft werden statt umkehrt" rief damals Bernard Cassin, einer der Väter des Weltsozialforums, den Teilnehmern zu. Dass gleich beim ersten Mal mehr als 10.000 junge Menschen in die südbrasilianische Hafenstadt strömten, verblüffte Anhänger wie Gegner der Bewegung. Die Empörung über ein neoliberales Wirtschafssystem das gleichzeitig steigenden Reichtum, wachsende Ungleichheit und eine Zerrüttung der Sozialsysteme produzierte, war politisch von allen Seiten unterschätzt worden.

Auf dem Weg zum "Politwoodstock"

Mit dem Slogan: "Eine andere Welt ist möglich" wurde Porto Alegre in den folgenden Jahren zu einer Art Politwoodstock. Die Teilnehmerzahl stieg auf mehr als 100.000. Obwohl es keine Mehrheitsentscheidungen oder Schlußdokumente gibt, gelang es der internationalen Bürgerbewegung eine Blaupause für eine alternative Wirtschafts- und Sozialpolitik zu entwerfen: globale Besteuerung von Konzernen und Finanztransaktionen, Entschuldung der Entwicklungsländer, Zügelung der Welthandelsorganisation, WTO, und ein Verzicht auf die Privatisierung von Kernbereichen des öffentlichen Lebens wie Trinkwasser und Bildung. "Wir sollten uns nicht das Etikett vom Globalisierungsgegnern anheften. Niemand ist hier gegen eine Globalisierung im Interesse der Menschen", rückte der US- Dissident Noam Chomsky auf dem zweiten Treffen die Definitionen zurecht.
Basisbewegung taugt nicht zur Gegenmacht

Bei einem Ausflug ins indische Bombay setzte das Forum mit Vorstößen gegen die Patentierung von Wissen und für den Erhalt der kulturellen Vielfalt Akzente. Zudem traten hier Zehntausende von "Unberührbaren", Angehörige der untersten Kasten medienwirksam in die Öffentlichkeit. Allerdings zeigte sich auch , dass eine antiautoritäre Basisbewegung nicht zur zentral organisierten Gegenmacht taugt. "Lasst uns zwei US Konzerne heraussuchen, die am meisten vom Irakkrieg profitieren, lasst sie uns weltweit boykottieren und in die Knie zwingen", fordert die indische Schriftstellerin Arundhati Roy - vergeblich.

Opfer des eigenen Erfolgs?

Vor allem aber ist es ironischerweise der eigene Erfolg, der der Forumsbewegung zu schaffen macht. Manche ihrer Anliegen werden mitlerweile auch in Davos diskutiert - allerdings meist folgenlos. Das neoliberale Dogma, Privatisierungen seien das Allheilmittel, zum Freihandel gäbe es keine Alternative, ist jedenfalls in den Köpfen der meisten Wähler und Politiker gebrochen. In Lateinamerika etwa hat es einen unübersehbaren Linksruck gegeben und nun besteht für die Bewegung eher das Problem, sich nicht von neuen Führern, wie Hugo Chavez, vereinnahmen zu lassen.
Afrika rückt wieder in den Fokus

Das Treffen in Nairobi könnte also entscheidend für die Zukunft dieser "Weltvolkshochschule" sein. Es findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem das lange von der Globalisierung abgeschnittene Afrika wieder stärker ins Blickfeld rückt: Der Krieg zwischen dem Westen und dem politischen Islam wird inzwischen auch in Somalia ausgefochten. An der Westküste des Kontinents kämpfen Ölkonzerne erbittert um Förderquoten, das rohstoffhungrige China investiert Milliarden von Sudan bis Sambia. Und die EU dringt noch in diesem Jahr auf ein Freihandelsabkommen, bei dem die Gefahr besteht, dass Afrikas Agrarmärkte noch stärker als bisher von europäischen Dumpingkonserven kaputt konkurriert werden

Genügend Themen also, um den Begriff der Solidarität neu und vor allem von unten zu definieren: Der Psychologe Edward Oyagi, einer der kenianischen Organisatoren, ist jedenfalls optimistisch: "Wir hoffen dass die Menschen in Afrika diese Energie hier aufnehmen und erkennen, dass sie eine Stimme in der Welt haben, dass sie ihre eigene Zukunft formen können."

 

« zurück zur Übersicht