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Berichte

Müllmänner der Globalisierung

Reportage

(von Marc Engelhardt aus Nairobi, die tageszeitung)

Auf dem Schulhof von Pater Daniele haben die Kinder schon lange das erste Banner aufgehängt. "Festival der Straßenkinder: Eine andere Welt ist möglich!", steht darauf. In den Pausen reden die Schüler auf dem Hof aufgeregt über die nächsten Tage. Die meisten können es kaum noch erwarten, dass das Weltsozialforum endlich beginnt. "Wir haben seit Monaten alles vorbereitet, jetzt soll es endlich losgehen", drängelt der 12-jährige Paul. Und auch seine Mutter, die sich nach Schulschluss mit anderen Mitgliedern der St.-John-Gemeinde trifft, um den "Marathon der Slumbewohner" vorzubereiten, schaut ungeduldig drein.

"Hier in Korogocho leben die Ärmsten der Ärmsten, und beim Weltsozialforum haben wir die einmalige Chance, unserem Unmut vor großem Publikum Luft zu machen", freut sich der italienische Pater Daniele, der vor sechzehn Jahren in den wohl ärmsten Slum von Kenias Hauptstadt Nairobi gezogen ist. Der Katholik Daniele führt den Widerstand der Kirchengemeinden in Korogocho an. 4.000 Slumbewohner hat er als Teilnehmer für das Weltsozialforum angemeldet, so viele haben weder Attac noch irgendeine Gewerkschaft aufzubieten. Wenn der Geistliche durch die engen Pfade läuft, an denen die Hütten aus Lehm und Wellblech stehen, wirbt Daniele immer noch für die Reise zum Gipfeltreffen der Globalisierungskritiker, das nur gut zehn Kilometer entfernt stattfindet. "Die Bewohner von Korogocho sind wahre Opfer der Globalisierung, und deshalb dürfen sie bei einem solchen Treffen nicht fehlen."

Hundert Meter von Pater Danieles Schule und der St.-John-Kirche entfernt türmt sich Abfall aus 30 Jahren. Meterhoch ragt er in den Himmel, jeden Tag kommen anderthalb Tonnen hinzu. Auf der einzigen Müllkippe der Viermillionenstadt Nairobi gehen die Schwelbrände niemals aus. Tag und Nacht zieht dunkler Rauch über die Hütten der Bewohner Korogochos, voller krebserregender Gase wie Dioxine und Furane. Auf der Halde von Korogocho landen die Hinterlassenschaften derer, die von Globalisierungskritikern "globale Konsumentenklasse" genannt werden: Auch eine Minderheit von Kenianern lebt im Überfluss, ihr Müllaufkommen nimmt seit Jahren zu. Dazu kommen die Abfälle aus Touristenhotels und Flugzeugen, die hier billig entsorgt werden. Auch Krankenhausabfälle, abgelaufene Medikamente oder Altöl landen unbehandelt auf der Halde. Was mit ihrem Müll passiert, interessiert die Bewohner Nairobis wenig. Wer nicht unbedingt muss, verirrt sich nicht ins Labyrinth von Korogocho.

Die Anrainer der Halde, irgendetwas zwischen 700.000 und einer Million Menschen, gehören zur abgehängten Mehrheit der Bevölkerung. Zu ihnen zählt Moses Kiuna, der seit 25 Jahren in einem fensterlosen Holzverschlag nicht weit vom Nairobi-Fluss entfernt lebt - eine dunkelbraune, stinkende Kloake, die sich durch die Siedlung schlängelt. Kiuna spricht kaum, er keucht. "Meine Lungen sind krank, von dem giftigen Qualm, der von der Müllkippe überall hin zieht. Ich muss Medikamente nehmen, aber die sind teuer, und ich kann mir das nicht immer leisten." Die Ärzte machen Moses Kiuna keine Hoffnung. Solange er in Korogocho bleibt, sagen sie, ist seine Krankheit unheilbar. Eine tödliche Nebenwirkung des Lebens im Müll. "Jedes Jahr behandeln wir alleine in unserem Kirchen-Hospital 10.000 Patienten mit Atembeschwerden", bilanziert Pater Daniele. Solange die Müllkippe nicht verlegt wird, wird sich daran wohl kaum etwas ändern.

Die jungen "Aasfresser"

Doch die Politik stellt sich taub. Die Deponie ist offiziell geduldet, irgendwann einmal hat die Stadtverwaltung beschlossen, dass dort, wo die Weltbank eine Modellsiedlung finanzieren wollte, eine riesige Müllkippe entstehen darf. "Legal oder illegal, es gibt auch einen gerechtfertigten Kampf innerhalb der Legalität", sagt Pater Daniele. Der Abgeordnete des Wahlkreises zeigt sich nur selten hier. Man munkelt, er verdiene dick mit am Geschäft mit dem Müll.

"Wir kämpfen gegen eine große politische Übermacht an", beschreibt das Japheth Oluoch, der in St. John unterrichtet. Die Strukturen seien mafiös, viele Bewohner trauten sich nicht, den Mund aufzumachen. "Die Müllkippe wird von den Mungiki beherrscht, das ist Suaheli für ,Mob' ", erklärt Oluoch. "Die Gangmitglieder sind schwer bewaffnet - viele Leute hier werden erschossen, das ist nichts Ungewöhnliches." Doch trotz all dieser Einschüchterungen hat die Gemeinde von Opfern sich über die Jahre in eine schlagkräftige Bewegung von Aktivisten verwandelt. Auch wenn der wortgewaltige Pater Daniele weiß, dass im Kampf für eine müllfreie Zukunft Korogochos nicht alle auf seiner Seite stehen.

Längst ist in Korogocho eine Mikroökonomie entstanden, deren Grundlage die Müllhalde ist. Ganz unten in der Hierarchie stehen wandernde Müllsammler, "Aasfresser" werden sie hier genannt. Die meisten von ihnen sind Kinder wie der 14-jährige Joseph, der ein paar Stücke Gummi und Metall in einer schmutzigen Plastiktüte mit sich herumträgt. "Das reicht hoffentlich für ein Mittagessen", hofft der Junge, der gemeinsam mit seinem Freund Kevin jeden Tag aufs Neue das Risiko eingeht, von den Mungiki erwischt zu werden. Und das für eine von absehbar magere Ausbeute: Die einfach wieder zu verwendenden vier Fünftel des städtischen Mülls, so schätzen Danieles Leute, gelangen gar nicht hierher. In Korogocho landet nur der Bodensatz. "Oft ist ,Chombo' dabei, vergammelte Lebensmittel, die die Kinder essen", erzählt Lehrer Oluoch. Jede Woche muss mindestens einer mit Lebensmittelvergiftung behandelt werden.

Der Slum-Marathon

Faith Kamene hat immerhin schon einen Stammplatz auf dem Müll ergattert. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang gräbt sich die sechsfache Mutter Zentimeter für Zentimeter in den Abfallberg und sortiert mit blanken Händen Glasscherben aus, die sie verkaufen kann. An einem guten Tag macht sie 30 Euro-Cent. Ihre Kinder sitzen nicht weit entfernt und spielen im Gerümpel: Schule kann Kamene sich nicht leisten. "Ich will nicht, dass die Müllkippe geschlossen wird", sagt sie. Von den Plänen der Bewegung um Pater Daniele hält sie wenig. "Wovon sollen wir dann leben, was sollen wir essen? Ich bin froh, dass wir die Müllhalde haben, sonst gibt es hier nichts."

Die katholische Gemeinde hat einen Recycling-Hof ins Leben gerufen, wo fairere Preise gezahlt werden und die Müllmänner und -frauen wenigstens grundlegende Arbeiterrechte genießen. Nach Pater Danieles Vorstellung soll das Projekt mitwandern, falls die Deponie eines Tages verlegt wird. Ein Platz ist dafür schon ausgewiesen, doch weil ein lokaler Politiker das Land anderweitig verschachert hat, muss vielleicht ein neuer Ort gefunden werden. Der Geistliche bekommt eine ernste Stirn. "Die Müllarbeiter befürchten, dass sie dort nicht mehr arbeiten dürfen und dass diejenigen, die in der Nähe des neuen Platzes leben, das ganze Geld alleine machen wollen" sagt Pater Daniele. Wie im globalen Kampf gegen die Folgen der Globalisierung, gibt es auch in Korogocho keine einfachen Lösungen, die es allen recht machen.

Auch deshalb will Daniele, dass möglichst viele Slumbewohner zum Weltsozialforum gehen. "Dort können sich unsere Leute mit anderen austauschen, die ähnliche Probleme haben und vielleicht neue Impulse für unseren weiteren Weg geben können." Dass der tägliche Kampf der afrikanischen Slumbewohner genügend Aufmerksamkeit bekommt, dafür hat Daniele gesorgt. Der weltschnellste kenianische Marathonläufer Paul Tergat soll den "Slum-Marathon" anführen, der durch einige der größten Slums von Nairobi führt. Tausende Teilnehmer des Weltsozialforums, so die Hoffnung, sollen für ein paar Stunden ihre Transparente ablegen und Turnschuhe anziehen, um die Lebensrealität von weit mehr als der Hälfte von Nairobis Bewohnern zu sehen.

Gut 250 Slums und informelle Siedlungen gibt es in Nairobi, Tendenz steigend. Für den Vorkämpfer Daniele gibt es noch genug zu tun. Auf sein T-Shirt hat er bereits seinen privaten Weltsozialforums-Slogan gemalt: "Eine andere Welt ist möglich - selbst für Slum-Bewohner."

 

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