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Berichte

Davos in der Defensive

Von der Schmuddelecke ins Rampenlicht – Globalisierungskritiker gewinnen an Einfluss

(von Dieter Rucht, Der Tagesspiegel)

Der Kontrast könnte kaum größer sein: Hier die Staatschefs und Wirtschaftsbosse im vornehmen schweizerischen Davos, dort die Massen der Globalisierungskritiker im ärmlichen brasilianischen Belem. Hier das gedämpfte Geplauder, dort die dröhnenden Samba-Trommeln. Hier die limitierte Ticketausgabe an einen handverlesenen Teilnehmerkreis, dort die Einladung an alle. Beide zeitgleich stattfindenden Veranstaltungen, das Weltwirtschaftsforum und das Weltsozialforum, haben nichts Geringeres als „die Welt“ im Sinn: Die einen tagen „vor“ der Welt, die sie zu lenken beanspruchen. Die anderen tagen gleichsam „mit“ der Welt, die sie nur als eine „andere Welt“ glauben retten zu können.

Das seit 2001 an wechselnden Orten stattfindende Weltsozialforum ist das Anti-Davos, das Mekka der Anti-Neoliberalen, teilweise auch der Anti-Kapitalisten. Seitdem sind die Weltsichten von Davos und den Orten des Sozialforums direkt aufeinander bezogen. Zuweilen treffen diese Welten sogar räumlich aufeinander. Im Ausnahmefall wird in Davos sogar einmal einer ihrer Vertreter aufs Podium geladen. In weitaus größerem Maßstab vollzieht sich aber die physische Konfrontation bei den Gipfeltreffen von Weltwährungsfonds und Weltbank, Welthandelsorganisation, G8 und EU. Dieses Aufeinanderprallen zweier Welten signalisiert einen grundlegenden Wandel. Konnten sich die Macher der internationalen Politik vor Jahrzehnten ungestört ihrer Verhandlungsdiplomatie widmen, um dann einem weitgehend indifferenten oder sich zumindest ohnmächtig wähnenden Publikum die Beschlusslage zu verkünden, so finden ihre Treffen nun regelmäßig im „Modus der Belagerung“ statt. Diese Formulierung von Jürgen Habermas war rein symbolisch gemeint. Sie bezieht sich auf den Druck, den vor allem zivilgesellschaftliche Akteure im öffentlichen Diskurs auf die Eliten des politischen Zentrums ausüben, ihre Entscheidungen im Lichte von Einwänden zu rechtfertigen und gegebenenfalls auch zu modifizieren.

Weniger spektakulär, aber ungleich bedeutsamer ist der Sachverhalt, dass sich die diskursive Konstellation grundlegend verändert hat. Galt bis in die 1990er Jahre hinein die bestehende Weltordnung als alternativlos, wenngleich verbesserungsbedürftig, so erscheinen inzwischen eher die „Macher“ als Vertreter einer Welt von gestern. Gewiss hat die Finanzkrise zu dieser Umkehrung der Vorzeichen beigetragen. Aber auch schon davor war erkennbar geworden, dass die neoliberal getrimmten Eliten in die Defensive geraten sind. Die Verheißungen einer staatlich flankierten marktradikalen Globalisierung, von deren Vorteilen ja alle Menschen profitieren sollten, sind so nicht eingetreten. Besorgt mussten die Organisatoren des Weltwirtschaftsforums im Dezember 2005 von einem „alarmierenden Bild“ berichten: Es mangelt an Vertrauen.

Die globalisierungskritischen Bewegungen haben sich nicht nur vor den Zäunen um die Gipfeltreffen gleichsam festgekrallt, sondern mit ihren Positionen auch, vermittelt über öffentliche Meinungsbildung, bei der nicht politisch aktiven Bevölkerung Fuß gefasst. Konnte die politische Klasse ihre Kritiker anfangs noch belächeln, so wirkt sie nun eher irritiert. Vereinzelt, aber mit wachsender Tendenz, wird auch das Gespräch gesucht. So richtete der damalige belgische Premierminister und EU-Ratsvorsitzende Guy Verhofstadt bereits 2001 einen „Offenen Brief an die Antiglobalisierer“. Darin bescheinigte er den Angesprochenen immerhin, sie stellten die richtigen Fragen, wenngleich sie keine Lösungen anzubieten hätten.

Vielleicht war es die Selbstgewissheit, dass die etablierte Politik das Monopol auf die richtigen Lösungen besitze, die Verhofstadt im Januar 2003 zu dem Vorhaben veranlasste, vom ausnahmsweise in New York tagenden Weltwirtschaftsforum zum Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre weiterzureisen, um dort eine Rede zu halten. Dieser Plan wurde von den Veranstaltern des Sozialforums mit der kühlen Begründung abgelehnt, die etablierte Politik verfüge über genügend andere Foren, um ihre Ideen zu verbreiten.

Sechs Jahre später kam es zu einem Gipfeltreffen der anderen Art. In Belem traten fünf lateinamerikanische Regierungschefs bei einer Veranstaltung – offiziell außerhalb des Weltsozialforums – auf. Vor Tausenden mit ihnen sympathisierenden Globalisierungskritikern reichten sie sich ostentativ die Hände und bekräftigten symbolisch ihren politischen Kurs.

Die internationale Politik steht nicht nur vor gewaltigen Sachproblemen, sondern sieht sich auch in ihrer Legitimationsbasis grundlegend herausgefordert. An der Spitze der Herausforderer stehen die globalisierungskritischen Bewegungen. Sie erlangten politischen Einfluss. Der Club, das zeigt schon die Erweiterung der G8 in Richtung G20 an, wird sich nicht nur für neue Mitglieder öffnen, sondern auch auf diejenigen hören müssen, denen ein gänzlich anderes Modell als das eines Clubs der Eliten vor Augen steht. Das ist im Sinne einer Öffnung und Erweiterung von Meinungsbildungsprozessen positiv zu bewerten. Inwieweit dies auch zu besseren Lösung der drängenden Probleme beiträgt, ist offen.

(Der Autor leitet - gemeinsam mit Dieter Gosewinkel - die Forschungsgruppe „Zivilgesellschaft, Citizenship und politische Mobilisierung in Europa".)

 

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