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Berichte

Die Selbstbetrüger vom Amazonas

Chaotisch, anarchisch - das Gegenmodell zum Eliteforum in Davos: So feiern Politiker und Aktivisten das Weltsozialforum in Belém. Geflissentlich übersehen sie, dass die anwesenden Präsidenten Lateinamerikas daheim ganz anders herrschen - und die geladenen Ureinwohner nur Statisten sind

(von Jens Glüsing, Spiegel-Online)

"Entschuldigung, wo bitte geht es zur UFPA Básico, ICB Anexo, Pat 02?"

Die junge Dame mit dem Federschmuck schenkt dem verschwitzten Deutschen ein entwaffnendes Lächeln, zuckt mit den Schultern und flötet im weichen Singsang-Portugiesisch der Amazonasbewohner: "Keine Ahnung."

Danke, das reicht, sie ist jetzt die fünfte mit dieser Antwort. Wozu studiert sie denn an dieser verflixten Uni? Warum trägt sie die grüne Weste, die sie als "Orientadora" ausweist, als menschliche Wegweiserin durch dieses Labyrinth namens UFPA? Die Abkürzung steht für "Bundesuniversität von Pará", sie ist eines von drei Tagungszentren des Weltsozialforums in Belém an der Amazonasmündung.

Irgendwo in den Eingeweiden dieses Uni-Monsters doziert der deutsche Politikwissenschaftler Elmar Altvater seit einer halben Stunde über die Zukunft des Regenwalds - vermutlich vor leeren Stühlen, denn ohne Satellitenortung finden nicht einmal Besucher, die des Portugiesischen mächtig sind, zu dem Professor aus Berlin.

Gerade beschließt der genervte Besucher, den Abend mit einigen Flaschen Cerpa-Bier im Stadtzentrum zu verbringen, da erbarmt sich doch noch eine ortskundige Seele und führt ihn zu dem Lehrsaal. Der Raum ist rappelvoll, bis auf den Gang drängen sich die Zuhörer. Auch der deutsche Botschafter sitzt mit verschwitztem Hemd im Publikum und macht sich Notizen.

Das Weltsozialforum, früher von den Mächtigen dieser Welt als Tropen-Woodstock belächelt, ist salonfähig geworden. Davos mag mit Zahlen und Namen glänzen, aber neue Ideen gedeihen eher im "kreativen Chaos" von Belém, wie Altvater das nennt.

Valdemiro Rosinho Kaixanu kam per Kanu und Dampfschiff

Glücklich stapft der 70jährige in Baumwollhosen und Sandalen über den vom Dauerregen versumpften Campus. Er ist der Doyen unter den deutschen Globalisierungskritikern, er hat schon vor fünf Jahren das Ende des Kapitalismus vorhergesagt. Brasilien kennt er von zahlreichen Besuchen als Gastdozent, er spricht gut Portugiesisch. Jetzt freut sich der Professor aus Berlin, dass seine Thesen in Belém diskutiert werden.

100.000 Besucher aus allen Winkeln des Planeten sind zum Anti-Davos in die Amazonasmetropole gekommen, angesehene Intellektuelle ebenso wie der italienische "Verein zur Förderung des Sports für alle" und die "Gesellschaft zur Verbreitung des Islam in Lateinamerika". Der amerikanische Starsoziologe David Harvey ist da, Frankreichs Präsidentenwitwe Danielle Mitterand wurde gesichtet, Befreiungstheologe Leonardo Boff lästert in Belém über den deutschen Papst.

Die weltweite Finanzkrise hat dem Treffen, das in den vergangenen Jahren eher lustlos dahinplätscherte, zu neuer Bedeutung verholfen. "Wir erleben eine Zivilisationskrise", sagt Altvater. "Der Niedergang des Finanzsystems geht einher mit Klimawandel, Hungersnöten und Energieknappheit. Mit sozialistischen Modellen des 20. Jahrhunderts kommen wir dieser Krise nicht bei. Wir müssen unsere Lebensweise umstellen, das geht nur dezentral".

So wie in Belém. Aus allen Winkeln des Planeten sind die Besucher an den Amazonas geströmt, die meisten mit dem Bus, viele mit dem Flugzeug. Valdemiro Rosinho Kaixanu kam per Kanu und Dampfschiff.

14 Tage war der Kazike des Indianerstammes der Kaixanu auf dem Amazonas unterwegs. Jetzt lehnt er einen Steinwurf von Professor Altvater entfernt an einem Geländewagen und klagt, dass in seiner Heimat an der Grenze zu Peru die Wälder schwinden. "Wir werden von illegalen Holzhändlern bedroht, aber Präsident Lula schenkt uns kein Gehör", sagt er. Dann führt er den Besucher zu seiner Unterkunft, da hat er sein Adressbuch mit den Telefonnummern für Journalisten.

Die indianischen Teilnehmer des Weltsozialforums hausen unter blauen Plastikplanen auf dem Gelände einer Schule am Rande des Campus. Doch eine stämmige Matrone, die sich als Angestellte der Landesregierung ausgibt, verwehrt den Zugang. Einige Indios hatten über die verstopften Chemieklos und ihre miesen Schlafstätten geklagt, jetzt hat die Regierung Fotografieren und Interviews in dem Indianerlager verboten.

Für die Unterbringung der Ureinwohner war kein Geld da

Das ist die andere Seite des angeblich regierungsunabhängigen Weltsozialforums: Brasiliens Bundesregierung und die Gouverneurin von Pará, eine Parteigenossin von Präsident Lula, haben fast 150 Millionen Real in die Logistik des Weltsozialforums investiert, etwa 50 Millionen Euro. Aber für eine dezente Unterbringung der Ureinwohner war offenbar kein Geld übrig, Kritik ist unerwünscht.

Vertreter der linken Landesregierung sitzen in zahlreichen Gesprächspodien und ergehen sich in Lobeshymnen auf Gouverneurin Ana Julia Carepa. Dass die verschwendungssüchtige Dame eine Allianz mit dem korrupten Polit-Mafioso Jader Barbalho geschlossen hat und ihre halbe Familie in der Regierung beschäftigt, ist kein Thema auf dem Forum. Carepa gibt sich als Ökologin, dabei wird in keinem anderen Bundesstaat soviel abgeholzt wie in Pará.

Nicht nur Provinzpolitiker haben das Weltsozialforum als Werbeträger entdeckt. Fünf lateinamerikanische Präsidenten ließen sich in Belém als Vorkämpfer einer "neuen Welt" feiern, dem Motto des Forums. Von einem "magischen Moment" für Lateinamerikas Linke schwärmte Ecuadors Staatschef Rafael Correa. "Die andere Welt existiert bereits", tönte Venezuelas Präsident Hugo Chávez und pries sein Modell eines "Sozialismus des 21. Jahrhunderts". Das Weltsozialforum repräsentiere "die natürliche Wählerschaft" der linken Präsidenten, meint auch Politikwissenschaftler Altvater.

Dabei übersehen viele Intellektuelle, dass der freie, nahezu anarchische Geist des Forums dem autoritären Charakter der meisten linken Regierungen auf dem Kontinent widerspricht. In Nicaragua, Venezuela und Brasilien versuchen die Präsidenten, unliebsame Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen an die Leine zu legen, Kritik ist nicht erwünscht. Im sozialistischen Kuba, dem das Forum ein eigenes Solidaritätszelt gewidmet hat, hätte der freie Gedankenaustausch des Weltsozialforums nicht die geringste Chance.

Belém gehört den Revolutionsromantikern

So gehört die "Neue Welt" von Belém weitgehend den Revolutionsromantikern der alten Linken. Stände mit Che-Guevara-T-Shirts säumen die Wege zu den Veranstaltungsorten, Kubaflaggen hängen schlaff in der Tropenluft. Über dem Zeltlager, wo die meisten Teilnehmer untergebracht sind, liegt der süße Duft von Marihuana. Indios bemalen die sonnenverbrannten Gesichter europäischer Forumsbesucher mit rotem Urucum, so verdienen sie sich ein paar Real.

Obama-T-Shirts haben es noch nicht bis Belém geschafft, Lateinamerikas Linke können den neuen US-Präsidenten noch nicht so richtig einordnen. Aber als "große Hoffnung" sei er allgegenwärtig, versichert Altvater: "Es gibt Überlegungen, das nächste Weltsozialforum in den USA abzuhalten".


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