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Berichte

Im Palast und unter Stroh

Fünf Tage Weltsozialforum im westafrikanischen Bamako

(von Bernhard Schmid, Labournet.de)

Es ist der erste Nachmittag, an dem es so richtig heiß ist in Bamako, seitdem das „polyzentrische Weltsozialforum“ vorigen Donnerstag an diesem ersten von drei internationalen Schauplätzen begonnen hat. Am Montag dieser Woche findet in der Nähe eines Stadttors und unweit einer Schule die Abschlusszeremonie statt, zu der symbolisch Bäume in der Hauptstadt dieses in Teilen von Dürre und Tockenheit geplagten westafrikanischen Landes Mali gepflanzt werden. 8- bis 10-jährige malische Schulkinder pflanzen Palmen, und die anwesenden Europäer sollen Eukalyptuspflänzchen in die Erde setzen.

Eisenbahn und Baumwolle

Doch es bleibt nicht beim symbolischen Ereignis, dem eine Pressekonferenz im Pavillon des Sportstadions unter anderem mit Vertretern der OrganisatorInnen, der malischen Ex-Ministerin Aminata Traoré, dem internationalistischen Bauerngewerkschafter José Bové aus Südfrankreich und Taoufik Ben Abdallah – dem marokkanischen Vorsitzenden des Sozialforums Afrika – vorausging. Rund um die jugendlichen und älteren Baumpflanzer, und gut im Sichtfeld der eifrig knipsenden Kameras, haben Frauen und Männer aus Mali mit drei größeren Transparenten Aufstellung genommen, sie fordern: „Stoppt die Privatisierung, gebt dem Volk von Mali die Eisenbahn zurück“ und „Erstattet Doktor Tiecoura Traoré seine vollen Rechte zurück“. Der Ingenieur Tiecoura Traoré ist zur Symbolfigur gegen die Raubprivatisierung des malischen Eisenbahnnetzes geworden, das 2003 vom französisch-kanadischen Konsortium Transrail aufgekauft wurde. Seitdem wurden 26 von 36 Bahnhöfen geschlossen, und der Eisenbahngenieur, der den Kampf dagegen anführte, wurde ohne Angabe von Rechtfertigungsgründen entlassen. Dagegen hat sich ein sehr aktives „Bürgerrechtskollektiv für die Rückerlangung und die (in die Landesentwicklung) integrierte Fortentwicklung der Eisenbahn von Mali“ gebildet, das COCIDIRAIL. Es umfasst nicht nur „aus betrieblichen Gründen“ entlassene ehemaligen Eisenbahner, sondern auch bisherige Nutzer des Schiennetzes und Menschen aus der Zivilgesellschaft, inzwischen auch 50 Fördermitglieder in Frankreich. „Sehen Sie diese Frauen dort, die aus Region außerhalb von Bamako kommen, um uns zu unterstützen“, sagt uns Tiecoura Traoré, „manche von ihnen haben Ehemänner, die bei der Bahn arbeiteten. Aber die meisten von ihnen hatten mit dem Betrieb als solchem nichts zu tun. Da sie – wie viele Malier – im informellen Sektor arbeiteten, boten sie unterschiedlichste Gegenstände, oft Nahrungsmittel und Speisen, auf den Bahnhöfen und entlang der Strecken an. Jetzt wurde ihnen die Lebensgrundlage entzogen“, oder sie droht verloren zu gehen, da Transrail anstrebt, ihre Aktivitäten auf den Schienen vermehrt auf den Containertransport von Exportgütern - wie Baumwolle - zum Hafen von Dakar (Senegal) zu konzentrieren.

Baumwolle, das ist wieder eine andere, aber grundsätzlich ähnliche Geschichte in Mali. Die malische Textilgesellschaft CMDT wird längst schleichend – Aktivitätssparte für Aktivitätssparte - privatisiert, unter internationalem Druck. Der Privatisierungsprozess soll bis 2008 abgeschlossen sein. Drei Viertel der Erlöse bringen die Franzosen außer Landes. Im Übrigen sehen die Produzenten die Preise unkontrolliert verfallen, da der Baumwollanbau in den USA hoch subventioniert wird und nur deswegen billiger konkurrenzfähig bleiben kann. Die Subventionen dort kommen nur einer Handvoll superreicher Produzenten zugute: Wo im US-Bundesstaat Louisiana vor 40 Jahren noch zwei Millionen Baumwollfarmer tätig waren, sind es heute noch 30.000, die riesige und menschenleer gewordene Flächen bebauen. „Um eine Jeanshose zu kaufen, muss ich jetzt 70 Kilomter mit dem Auto fahren“ sieht man einen Landarbeiter von dort in einem französisch-malischen Dokumentarfilm sagen. In Mali dagegen lebt eine Mehrheit der Bevölkerung von der Landwirtschaft, und ein bedeutender Teil von ihr wiederum vom Baumwollanbau – solange es eben noch geht.

Dennoch sind diese Themen nicht beherrschend beim Weltsozialforum. Zunächst einmal aus einem nachvollziehbaren Grund – weil es sich eben um ein internationales und nicht ein landesweites oder regionales Forum handelt. Aber zahlreiche Teilnehmer wären sicherlich damit einverstanden gewesen, die globalen Fragen auch unter anderem anhand der lokalen Ausbeutungssituation zu studieren. Die das Forum hauptsächlich veranstaltenden NGOs jedoch, als deren graue Eminenz sicherlich die frühere Kulturministerin Aminata Traoré gelten darf , waren in ihrer Mehrheit für einen eher verhaltenen Kurs: Kritik an den westlichen Großmächten - und vor allem an dem in Mali noch immer dominierenden Frankreich, der früheren Kolonialmacht – sollte auf dem Forum zwar zum Ausdruck kommen, aber man solle es dabei auch nicht übertreiben. Nicht zuletzt ist dies auch das Interesse der malischen Behörden, die das Forum unterstützten, und sei es in seiner Eigenschaft als Devisenbringer, ferner auch im öffentlichen Fernsehen einige – späte – Werbung vor Beginn dafür machen ließen.

Eine am vorigen Sonntag geplante Demonstration von ehemaligen Sans papiers, die aus Europa ausgeschafft worden sind, vor der französischen Botschaft lief nur zur Hälfte los. Die andere Hälfte der rund 500 Teilnehmer blieb am Sammlungsort stehen – „auf telefonische Intervention von Aminata Traoré hin“, wie ein französischer linker Aktivist zu wissen meint. Ferner mischen neben antiimperialistisch oder internationalistisch orientierten Gruppen auch politisch teilweise eher moderate Verfechter des „fairen Handels“, aber auch falsche NGOs wie die durchaus nicht als „non gouvermental“ zu bezeichnende Friedrich-Ebert-Stiftung – Parteistiftung der neoliberalen deutschen Regierungspartei SPD – auf dem Weltforum der sozialen Bewegungen, Initiativen und NGOs mit. Die Ebert-Stiftung etwa ließ ein Begrüßungstransparent mit ihrem Namen, neben den Transparten koorganisierender Gruppen oder mit Forderungen nach einer anderen Weltwirtschaftsordnung, vor dem Eingang zum Kongresspalast von Bamako anbringen.

Welche Interessenüberschneidungen sind mit den malischen Behörden möglich? (Und wo enden sie?)

Zu den hauptsächlichen Themen, bei denen auch mit scharfer Kritik nicht gespart wurde, gehörte die Einwanderungspolitik der Europäischen Union. Dabei kam eine zumindest teilweisen Konvergenz der Interessen der migrationswilligen Menschen „von unten“ mit jenen der malischen Regierungsstellen sicherlich zu Hilfe: Wie sozialwissenschaftliche Studien wiederholt belegten, bildet die Emigration in vielen und vor allem in den entlegenen Regionen Malis einen wichtigen Entwicklungsfaktor. Dazu gehören nicht nur die Überweisungen von Emigranten etwa aus Frankreich an ihre Familien, sondern auch die kollektiven Projekte, die viele Auswanderer betreiben. So wandert fast nie eine gesamte Dorfbevölkerung ab, sondern ein Teil der jugendlichen Dorfbewohner wandert – und sei es nur vorübergehend – aus, um dann aber in der Ferne einen Teil des verdienten Geldes für gemeinsame Vorhaben wie etwa eine Brunnenbohrung zusammenzulegen. Diese Form nicht-staatlicher und nicht durch internationale Kredite gekoppelter Entwicklungsfinanzierung kann der malischen Regierung nicht grundsätzlich ungelegen kommen.

Der 21jährige Student der Wirtschaftswissenschaft Aboubacar, aus Bamako, erkennt hierin tatsächlich eine mögliche Überschneidung der Interessen von Sozialforum und malischen Staatsrepräsentanten andererseits. Doch er fügt selbst noch zwei weitere mögliche Schnittstellen hinzu: „Die malische Regierung ist sicherlich auch dafür, zu verhindern, dass der Preis für die Baumwolle, der den Produzenten ausbezahlt wird, nicht ins Bodenlose verfällt. Denn es handelt sich auch um eine der Haupteinnahmequellen Malis, die das Land als solches ernährt. Und auch im Bildungsbereich gibt es sicherlich Überschneidungen und gemeinsame Interessen: Im Namen der Entwicklungsimperative möchte die Regierung wirklich erreichen, dass der Analphabetismus zurückgedrängt werden und dass besonders auch Frauen bessere Schulbildung, oder in manchen Gegenden überhaupt Schulbildung erhalten. Die Regierenden denken, dass sich das Land mit einem niedrigen Bildungsstandard nicht entwickeln kann, und dass auch die Frauen nicht ausgeklammert werden dürfen.“

Zweifellos sind bei solchen Fragen die Absichten der Offiziellen von Mali und manch anderer der Staaten des „Südens“ – jedenfalls derer mit demokratischen Regierungsformen - denen der „Altersmondialistes“ (ANMERKUNG 1) näher als jenen der mächtigsten westlichen, imperialistischen Staaten und ihrer Konzerne. Denn letzteren geht es darum, ein neoliberales Akkumulationsregime zu bewahren und zu fördern, das besonders in der Dritten Welt längst auch einen offenen Angriff auf öffentlich garantierte Bildungs- und Gesundheitssysteme impliziert – in „unseren“ Metropolen stecken solche Entwicklungen im Vergleich dazu erst noch in den Kinderschuhen. Aber das ändert nichts daran, dass auch der malische Staat grundsätzlich ein Garant etablierter Eigentums- und damit immer indirekt auch Ausbeutungsverhältnisse ist, und bestenfalls den „stummen Zwang“ der ökonomischen Machtverhältnisse auch gegen seinen Willen exekutieren muss. Insofern partielle Bündnisse möglich sind, muss dies jedoch allzeit mit bedacht werden.

Was die Verbesserung der Partizipations- und Lebenschancen von Frauen betrifft, ist die Regierung von Mali dagegen tatsächlich nicht inaktiv. In dem westafrikanischen Land, das eine laizistische Republik darstellt, aber eine tief religiöse und traditionsverhaftete Gesellschaft aufweist, können Frauen ebenso Soldatinnen und Offizierinnen – manchmal sieht man welche auf ihrem Motorrad aus dem Sitz der Luftwaffe am Boulevard der Unabhängigkeit kommen - wie Ministerinnen werden. Zugleich liegt im gesellschaftlichen Bereich noch vieles im Argen, namentlich wenn man an die so genannte Mädchenbeschneidung oder Verstümmelung der weiblichen Genitalien im Kindesalter denkt, die in Mali (wie auch in Ägypten oder Yemen) weit verbreitet ist. Fälschlich wird sie von manchen mit dem Islam in Verbindung gebracht, dem diese archaische Praxis als solchem aber fremd ist; in Mali und anderswo hat der vordringende Islam freilich mancherorts ältere Glaubensvorstellungen und Riten fortbestehen lassen und integriert. Die malische Regierung betreibt selbst, etwa in Form von eindeutig vor dieser Praxis warnenden Fernsehspots, aktive Propaganda gegen die Mädchenbeschneidung. Neben zahlreichen auf diesem Gebiet aktiven Initiativen und NGOs, deren einer meine Gastgeberin selbst angehört.

Migration und ihre Kriminalisierung

Die Einwanderung zählte also, unumstritten, zu den Kernthemen der verschiedenen Konferenzen anlässlich des WSF. So gehörte zu den interessantesten Konferenzen auf dem Forum eine Veranstaltung zum Thema »Kriminalisierung von Migration«. Lucile Damas von ATTAC Marokko ging scharf mit der europäischen Politik ins Gericht, die sich durch Heuchelei und Doppelbödigkeit auszeichne. Einerseits schließe man dort, wo es um die Aufhebung von Schutzbarrieren für die Ökonomien des Südens und die Durchsetzung von Freihandelsinteressen der stärkeren Nationalökonomien gehe, Abkommen an, in deren Rhetorik viel von Zusammenarbeit zu gegenseitigem Nutzen die Rede sei und oft der Eindruck erweckt werde, als stünden die Verträge allein im Interesse der Länder des Südens und ihrer „Entwicklung“. Andererseits aber verschwinde diese Rhetorik sofort, wo es um den „Schutz“ Europas vor unerwünschter Zuwanderung gehe, und mache einer regelrechten „Obsession“ der Abwehr Platz. Staaten wie Marokko, Tunesien, Libyen und Ägypten ließen sich vor den europäischen Karren spannen, im Interesse einer vorgelagerten Abwehr- bzw. Selektionspolitik für Migranten, die detailliert untersucht wird. Die deutsche Europaparlamentarierin Gaby Zimmer (Linkspartei.PDS) berichtet von den Versuchen der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken, mehr über die dramatischen Bedingungen für unerwünschte Flüchtlinge und Migranten zu erfahren, die in Libyen oder den Italien vorgelagerten Inseln geparkt würden. Sie wünscht eine intensivere Zusammenarbeit mit Kräften im Süden, um genauer zu wissen, was in dieser Hinsicht in Ländern wie Marokko oder Libyen passert. Ich bin eher positiv erstaunt über die doch recht korrekten Äußerungen der ostdeutschen Abgeordneten - aber ob sie das in Brandenburg auch so sagen würde? Der Abgeordnete Ag Ibarcane aus Gao im Norden Malis fordert die linken Abgeordneten und Gleichgesinnte auf, eine „Kampagne in den Tiefen Europas, bei ihren Wählern“ zu entfachen, um für eine Öffnung Europas für Immigranten einzutreten, denn auch Europa habe kein Interesse an einer dauerhaften Abschottung.

Andere Veranstaltungen, die spannend zu werden versprachen, fanden teilweise nicht statt oder fielen unangekündigt aus, etwa weil die Referenten nicht gekommen waren. Dazu trug sicherlich vor allem die zeitweise Überforderung der Organisatoren durch den Andrang der (laut den örtlichen Veranstaltern, deren Zahlenangaben dazu realistisch ausfallen) 15.000 bis 20.000 Teilnehmer bei – auch wenn im Vorfeld teilweise deutlich höhere Zahlen erwarteter Teilnehmer zirkuliert waren. Freilich sprechen französische Linksradikale gerüchteweise von politischen Blockaden, die aber nicht belegbar sind. Alles in allem hielt sich das Ausmaß organisatorischer Probleme aber dennoch – in der Gesamtschau - deutlich unterhalb des Erwarteten. Die von manchen Teilnehmern beklagte „Aufsplitterung“ des Sozialforums auf neun bis zehn Orte in der Hauptstadt, die aus Sicht der Veranstalter die Teilnehmer näher an die Lebensrealitäten in der Stadt heranbringen sollte, war weitaus weniger schlimm als beim Europäischen Sozialforum in Paris vor drei Jahren.

Sozialforum im besten Sinne: Notfalls neben dem offiziellen Programm

Und auch die sozialen Konfliktthemen in Mali kamen anlässlich des Sozialforums durchaus zur Sprache, man musste nur richtig hinschauen. Draußen vor dem Kongresspalast hatten Leute ein riesengroßes Strohdach aufgebaut, wo während drei Tagen ein Programm geboten wurde, das nicht in den offiziellen Veranstaltungsankündigungen stand. Auch wenn es nicht im Namen einer Gruppe oder Partei veranstaltet wird, hat doch offenkundig die kommunistische Bewegung SADI (Afrikanische Solidarität für Entwicklung und Unabhängigkeit) aus Mali organisierend gewirkt. Diese Bewegung stellt den Kultur- und Tourismusminister des Landes, ist aber de facto eher oppositionell. Ganz überwiegend Malier sind gekommen, es wird in Bambara – das von einer Bevölkerungsmehrheit im Land gesprochen wird – vorgetragen und auf Französisch übersetzt. Minen- und Landarbeiter sowie arme Bauern sind hier zusammengekommen, die wütend ihren sozialen Protest vortragen. Anwohner der Goldminen, die durch ein französisch-südafrikanisches Kapitalkonsortium aufgekauft worden sind und für den Großteil der Malier verschlossenes Terrain darstellen, berichten über großflächige Verseuchungen mit Quecksilber, das zum Goldabbau eingesetzt und rücksichtslos in die Landschaft geblasen wird. Männer und Frauen berichten von Missbildungen an Kindern, „wir erleben eine Situation wie in Nagasaki nach dem Atombombenabwurf“. Gewerkschafter aus den Minen berichten über willkürliche Verhaftungen und Gefängnisaufenthalte ihrer Kollegen seit sechs Monaten ohne jede offizielle Begründung. Mutmaßlich analphabetische Bäuerinnen berichten über heftige Agrarkonflikte, über Wasser, das von den Feldern auf die Exportkulturen von Bananen umgeleitet wird, die einheimischen Reichen gehören, die auf die Komplizenschaft von Richtern und Gedarmen bauen können. Über Wasserrechnungen, die trotzdem bezahlt werden müssen, und über brutale Misshandlungen durch die Gendarmerie. Die Frauen meinen, die Zeiten seien vorbei, wo man darauf bauen konnte, dass Ihresgleichen sich nicht für Politik interessiere. Hier findet Sozialforum at it's best statt.

 

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