BerichteSind 20 Jahre gar nichts oder wird das Weltsozialforum wiederbelebt? Es ist nicht leicht, denjenigen, die es nicht erlebt haben, zu beschreiben, wie die Welt zu Beginn des Jahrtausends aussah, vor zwei Jahrzehnten, als die digitale Technologie in den Startlöchern stand, und das Licht der Hoffnung hinter dem Leitspruch „Eine andere Welt ist möglich“ im Kampf gegen den Neoliberalismus und die kapitalistische Globalisierung zu leuchten schien.
(von Aram Aharonian, www.pressenza.com) Zurück zum Weltsozialforum Zwischen dem zweiten und dritten Forum ereignete sich am 2. April 2002 ein Staatsstreich in Venezuela, der von der Bevölkerung gestoppt wurde, welche Chávez wieder in den Präsidentenpalast setzte. In den Putsch, der die Demokratisierung und Sozialisierung abzubrechen versucht hatte, waren der gesamte rechte Flügel sowie die Polizei- und Militärkommandanten verwickelt. Er hatte die ausdrückliche Unterstützung der Regierungen der Vereinigten Staaten und Spaniens. Das dritte WSF fand wieder in Porto Alegre statt, im Januar 2003, als Lula bereits Präsident war und Néstor Kichner als Kandidat der peronistischen Erneuerungsbewegung in Argentinien antrat. Es gab viele parallel laufende Workshops, darunter z.B. der Workshop „Leben jenseits des Kapitalismus“, der eine Diskussion anregte, die sich auf die partizipativen Möglichkeiten verschiedener Aspekte sozialer, politischer, wirtschaftlicher und kommunikativer Strukturen konzentrierte. Dort wurden mehrere Panels zum Thema Kommunikation und Demokratie und populäre Kommunikation präsentiert (die Veranstaltung wurde sogar von einem Pool verschiedener Kollektive abgedeckt). Obwohl das Internationale Komitee des WSF eine gewisse Zurückhaltung äußerte, wurde der venezolanische Präsident von der Central Unica dos Trabalhadores (CUT) und dem Movimiento dos Sem-Terra (MST) sowie von der Partido Socialismo e Liberdade (PSOL) eingeladen, an Aktivitäten parallel zum WSF teilzunehmen. Chávez versicherte, das WSF arbeite an einer Alternative zum neoliberalen und unmenschlichen Modell auf, das unseren Planeten zu zerstören droht. „Wenn wir dem Neoliberalismus kein Ende setzen, wird der Neoliberalismus uns ein Ende setzen“, sagte er im Amphitheater der Legislativversammlung in Porto Alegre, umgeben von Führungspersonen der brasilianischen und regionalen Linken. Und so nahm das Forum, obwohl einige seiner „Führer“ es nicht guthießen, „Rattenfänger“ in seine Reihen auf jenseits der Intellektuellen solche, die die Massen herbeiriefen, wie José Samanago und Eduardo Galeano, oder die Figur des achtzigjährigen belgischen Exkursionisten Francois Houtart, Gründer des Tricontinental Centers, der eilig von Forum zu Versammlung schritt, voll mit Büchern in den Händen. Dort, erinnert sich Flavio Aguiar, wurden, wie wir Jahrzehnte später sahen, viele der Wege festgelegt, die uns einen Blick auf diese „andere mögliche Welt“ ermöglichten. Chávez, Lula, Evo, Correa, Fernando Lugo, Pepe Mujica, unter anderen, durchliefen die Ausgaben des WSF und konstruierten die Schritte einer souveränen Agenda auf dem Kontinent. Und in Erinnerung bleibt uns die Veranstaltung im Gigantinho, wo sie sich alle, mit dem Mikrofon in der Hand von der zentralen Bühne aus, zu Künstler*innen und Publikum gesellten und gemeinsam mit ihnen die bekannten Lieder unseres America Lapobre sangen. Media Watch Global und Telesur Als Ergebnis einiger Schlussfolgerungen des Forums 2002 wurde auf dem Forum 2003 das Media Watch Global vorgestellt, das ohne Zensur die Vorherrschaft der Ethik im Journalismus erreichen und die Manipulation von Informationen oder Politik durch die Mainstream-Medien verhindern soll. „Denkt nicht, dass politische Manipulation nur ein Problem der Dritten Welt ist“, sagte der Gründer von Inter Press Service, Roberto Savio neben dem Direktor von Le Monde diplomatique, Ignacio Ramonet, und dem Direktor von Carta Maior, Joaquim Palhares, einer der Promotoren der neuen Organisation. Es wurde angekündigt, dass das Unternehmen seinen Hauptsitz in Paris haben wird und zumindest Zweigstellen in Venezuela und Brasilien. Etwa zwanzig Journalist*innen und Aktivist*innen der Altermondialismusbewegung reisten sofort nach Caracas, wo das venezolanische Chapter gegründet wurde (angeführt von der Zeitschrift Question), das sich entwickelte und Medienbeobachtungen während Präsidentschaftswahlen koordinierte beispielsweise in Bolivien, Chile, Nicaragua, El Salvador und Venezuela. Eine der größten Sorgen derjenigen Medienschaffenden von uns, die am WSF teilgenommen haben, war dessen mangelnde Verbreitung, die nicht nur über die Foren, die Teilnehmer, die Agenda und ihre Schlussfolgerungen erreicht wurde. In den Kommunikationsforen begannen wir über die Notwendigkeit zu sprechen, einen lateinamerikanisch-karibischen Fernsehsender zu haben, um die Welt vom Süden aus sehen zu können und das Projekt unter die Leute zu bringen, das aus der Versammlung der lateinamerikanischen Journalistenvereinigung in Havanna resultiert war und das schließlich, einige Jahre später, Telesur heißen würde. Sozialismus, nicht den Feind verkennen Das WSF kehrte im Januar 2005 nach Porto Alegre zurück (nach einer Reise nach Bombay im Jahr 2004), und Chávez war die große Attraktion für die Tausenden von Teilnehmenden, die die Plätze im und um das Gigantinho-Stadion füllten. Es war vielleicht das Forum, das uns am stärksten im Gedächtnis geblieben ist: Das, bei dem Chávez der bolivarischen Revolution eine Wendung gab, als er sich offen für den Sozialismus aussprach und damit viele überraschte. Bei seinem zweiten Besuch eines WSF-Treffens in Porto Alegre betonte Chávez, dass es ein neues Kräfteverhältnis in Lateinamerika und der Welt gebe und dass die USA ihren Willen nicht mehr durchsetzen könnten. Ebenfalls auf diesem Forum setzte Chávez dem Unbehagen vieler Aktivist*innen gegen Lula ein Ende. Er machte sie auf einen Gesetzesentwurf für die gewerkschaftliche Reform der brasilianischen Regierung und Lulas Entscheidung, ebenfalls am Davoser Forum teilzunehmen, aufmerksam: „Verkennen Sie den Feind nicht: Lula ist ein Partner, ein Gefährte in diesem Kampf“. Einige Tage später verteidigte Chávez im Ateneo-Theater (heute ND) in Buenos Aires (wohin er aus Porto Alegre angereist war) auch Nestor Kirchner, von einigen Anwesenden ausgebuht, und appellierte an Martin Fierro: „Brüder, seid vereint, dies ist das erste Gesetz“. Er betonte die Notwendigkeit, sich darüber klar zu werden, wer der Feind ist, und sich für Einheit mit dem Ziel der Integration einzusetzen. Free Trade Area of the Americas No (FTAANo) In Porto Alegre fand sich „Nein zum FTAA“ zusammen, eine breite politisch-soziale Bewegung, die von Regierungen, politischen Parteien, Gewerkschaften und sozialen Organisationen aus ganz Amerika getragen wird, um sich dem US-Projekt des „Free Trade Area of the Americas“ (FTAA, span. ALCA) entgegenzustellen. Die Bewegung wandte sich gegen die Herrschaft des Freihandels als Regulator der internationalen Beziehungen mit dem Argument, sie fördere Ungleichheit und Armut, und schlug stattdessen eine internationale Ordnung vor, die auf Kriterien basiert, die Asymmetrien abbauen würden, wie etwa fairer Handel, regionale und subregionale wirtschaftliche Integration und produktive Komplementierung. Am 5. November 2005, als der IV. Gipfel der Amerikas in der argentinischen Küstenstadt Mar del Plata zusammentrat, um den FTAA auf den Weg zu bringen, kam es zu einer historischen Konfrontation zwischen den Regierungen, die das Abkommen verteidigten, angeführt von US-Präsident George Bush, und denen, die dagegen waren, angeführt von den Präsidenten Lula da Silva, Néstor Kirchner und Hugo Chávez, die die endgültige Lähmung des FTAA bewirkten. Telesur war bereits auf Sendung und verhinderte, dass das OAS-Treffen ungesehen blieb (wie könnten wir die Gesichter von George Bush und seinem mexikanischen Partner Vicente Fox vergessen!), ebenso wie die massiven Volksmobilisierungen unter dem Motto „ALCArajo“ („Zum Teufel mit dem FTAA“), mit Evo, mit Maradona, mit den Menschen in den Straßen von Mar del Plata. Im Jahr 2006 zog das WSF nach Caracas um. Dort sagte Chávez bei der Einweihung: „Nur wenn wir nach Macht streben, können wir beginnen, die Welt zu verändern. Wir können es weder mit diesem Forum noch mit hundert anderen machen. Sie dienen als Hilfe und sind unverzichtbar, aber wir müssen die Sache mit einer Strategie in Richtung Macht begleiten, sonst wäre es sinnlos“. Es ist eindeutig: Der Feind ist nicht besiegt, der Kampf geht weiter bis zur Machtergreifung (und nicht nur der Regierung). Im Januar 2007 zog das WSF nach Nairobi, mitten nach Afrika, und dort waren wir mit Telesur und konnten vor Ort nachvollziehen, dass die Probleme afrikanischer, asiatischer, lateinamerikanischer und karibischer Bevölkerung im Grunde die gleichen sind: Kapitalistische Ausbeutung und ihre Folgen. Dieses Forum zeigte uns die Probleme der afrikanischen Völker und betonte die Notwendigkeit, ihren 850 Millionen Menschen eine Stimme zu geben. Im Jahr 2009 kehrte das WSF nach Brasilien zurück, in die nordostbrasilianische Stadt Belem do Para, im Herzen des Amazonas, gefördert von Carta Maior, und widmete sich dem Hauptthema der Erhaltung des gesamten noch existierenden Naturerbes auf dem Planeten. Im Januar 2010 fand es wieder in Porto Alegre, Brasilien, statt und wurde mit dem Thema „Zehn Jahre später: Herausforderungen und Vorschläge für eine andere mögliche Welt“ eröffnet, aber der Schwung war bereits abgeflaut Hier sind wir und da wollen wir hin Zwanzig Jahre später kehrt das WSF in virtuellem Format zurück, um für eine andere Welt zu arbeiten, die immer notwendiger wird, wenn wir über das mögliche Ende der Menschheit sprechen. Und diejenigen von uns, die den Kampf für eine andere, unverzichtbare Welt fortsetzen, für die Notwendigkeit, Agenden, Kriterien, Kämpfe zu vereinen; Studien, Forschungen auszutauschen; das kritische Denken zu erneuern, das oft in alten Dogmen und in Perspektiven von Welten feststeckt, die nicht mehr existieren, kämpfen weiter für die Botschaft, damit sie sich in der kollektiven Vorstellung der Welt durchsetzt. Wir sind uns bewusst, dass wir diesen kulturellen und ideologischen Krieg erdrutschartig verlieren, und heute wird die Idee einer anderen möglichen Welt für alle in der kollektiven Vorstellung nicht durchgesetzt. Die Welt nach der Pandemie, auf die wir uns vorbereiten müssen, wird ganz anders sein als die, die wir bisher kannten. Heute hängt die Kontinuität des WSF von der Ausarbeitung einer antikapitalistischen, antikolonialen und antipatriarchalen Agenda ab, ausgehend von einer Beziehung des kritischen und strategischen Denkens; einer Form der Beratung, die das gegenwärtige demokratische Defizit seines Internationalen Komitees überwindet und vor allem davon, die neuen Generationen für den Kampf für eine bessere Welt zu begeistern, da sie diejenigen sein werden, die sich daran erfreuen oder darunter leiden werden. Sie werden diejenigen sein, die das Forum wiederbeleben können. (Aram Aharonian ist uruguayischer Journalist und Kommunikator. Master in Integration. Begründer von Telesur. Er ist Vorsitzender der Stiftung für Lateinamerikanische Integration (FILA) und leitet das Latin American Center for Strategic Analysis (CLAE, www.estrategia.la) und susrysurtv.) |
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